Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Wolken schwindelte ich herunter, alles, was mich
aufrecht erhielt, verließ mich treulos; -- der
Mensch ist ein elendes Geschöpf!

Ja das Blendwerk der jugendlichen Phanta-
sie ist jetzt von meinen Augen genommen, ich
habe mich über meine Empfindungen belehrt, und
verachte mich jetzt eben da, wo ich mir einst
als ein Gott erschien, -- aber ach, Rosa, ich
wünsche mir jetzt in manchen Stunden dis kin-
dische Blendwerk zurück. Was ist aller Genuß
der Welt am Ende, und warum wollen wir die
Täuschung nicht beibehalten, die uns auf jedem
Felsen einen Garten finden läßt? --

Und ist denn meine jetzige Meinung nicht
vielleicht eben so wohl Täuschung, als meine
vorhergehende? -- Mir fällt es erst jetzt ein,
daß beide Ansichten der Welt und ihrer Schäz-
ze einseitig sind und es seyn müssen, -- alles
liegt dunkel und räthselhaft vor unsern Füßen,
wer steht mir dafür ein, daß ich nicht einen
weit größeren Irrthum gegen einen kleineren
eingetauscht habe?

Als ich mich so meiner vorigen Existenz er-
innerte, als ich alle Scenen, die mich sonst ent-
zückten, meinen Augen vorübergehen ließ, als

Wolken ſchwindelte ich herunter, alles, was mich
aufrecht erhielt, verließ mich treulos; — der
Menſch iſt ein elendes Geſchoͤpf!

Ja das Blendwerk der jugendlichen Phanta-
ſie iſt jetzt von meinen Augen genommen, ich
habe mich uͤber meine Empfindungen belehrt, und
verachte mich jetzt eben da, wo ich mir einſt
als ein Gott erſchien, — aber ach, Roſa, ich
wuͤnſche mir jetzt in manchen Stunden dis kin-
diſche Blendwerk zuruͤck. Was iſt aller Genuß
der Welt am Ende, und warum wollen wir die
Taͤuſchung nicht beibehalten, die uns auf jedem
Felſen einen Garten finden laͤßt? —

Und iſt denn meine jetzige Meinung nicht
vielleicht eben ſo wohl Taͤuſchung, als meine
vorhergehende? — Mir faͤllt es erſt jetzt ein,
daß beide Anſichten der Welt und ihrer Schaͤz-
ze einſeitig ſind und es ſeyn muͤſſen, — alles
liegt dunkel und raͤthſelhaft vor unſern Fuͤßen,
wer ſteht mir dafuͤr ein, daß ich nicht einen
weit groͤßeren Irrthum gegen einen kleineren
eingetauſcht habe?

Als ich mich ſo meiner vorigen Exiſtenz er-
innerte, als ich alle Scenen, die mich ſonſt ent-
zuͤckten, meinen Augen voruͤbergehen ließ, als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0028" n="22"/>
Wolken &#x017F;chwindelte ich herunter, alles, was mich<lb/>
aufrecht erhielt, verließ mich treulos; &#x2014; der<lb/>
Men&#x017F;ch i&#x017F;t ein elendes Ge&#x017F;cho&#x0364;pf!</p><lb/>
          <p>Ja das Blendwerk der jugendlichen Phanta-<lb/>
&#x017F;ie i&#x017F;t jetzt von meinen Augen genommen, ich<lb/>
habe mich u&#x0364;ber meine Empfindungen belehrt, und<lb/>
verachte mich jetzt eben da, wo ich mir ein&#x017F;t<lb/>
als ein Gott er&#x017F;chien, &#x2014; aber ach, Ro&#x017F;a, ich<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;che mir jetzt in manchen Stunden dis kin-<lb/>
di&#x017F;che Blendwerk zuru&#x0364;ck. Was i&#x017F;t aller Genuß<lb/>
der Welt am Ende, und warum wollen wir die<lb/>
Ta&#x0364;u&#x017F;chung nicht beibehalten, die uns auf jedem<lb/>
Fel&#x017F;en einen Garten finden la&#x0364;ßt? &#x2014;</p><lb/>
          <p>Und i&#x017F;t denn meine jetzige Meinung nicht<lb/>
vielleicht eben &#x017F;o wohl Ta&#x0364;u&#x017F;chung, als meine<lb/>
vorhergehende? &#x2014; Mir fa&#x0364;llt es er&#x017F;t jetzt ein,<lb/>
daß beide An&#x017F;ichten der Welt und ihrer Scha&#x0364;z-<lb/>
ze ein&#x017F;eitig &#x017F;ind und es &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, &#x2014; alles<lb/>
liegt dunkel und ra&#x0364;th&#x017F;elhaft vor un&#x017F;ern Fu&#x0364;ßen,<lb/>
wer &#x017F;teht mir dafu&#x0364;r ein, daß ich nicht einen<lb/>
weit gro&#x0364;ßeren Irrthum gegen einen kleineren<lb/>
eingetau&#x017F;cht habe?</p><lb/>
          <p>Als ich mich &#x017F;o meiner vorigen Exi&#x017F;tenz er-<lb/>
innerte, als ich alle Scenen, die mich &#x017F;on&#x017F;t ent-<lb/>
zu&#x0364;ckten, meinen Augen voru&#x0364;bergehen ließ, als<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0028] Wolken ſchwindelte ich herunter, alles, was mich aufrecht erhielt, verließ mich treulos; — der Menſch iſt ein elendes Geſchoͤpf! Ja das Blendwerk der jugendlichen Phanta- ſie iſt jetzt von meinen Augen genommen, ich habe mich uͤber meine Empfindungen belehrt, und verachte mich jetzt eben da, wo ich mir einſt als ein Gott erſchien, — aber ach, Roſa, ich wuͤnſche mir jetzt in manchen Stunden dis kin- diſche Blendwerk zuruͤck. Was iſt aller Genuß der Welt am Ende, und warum wollen wir die Taͤuſchung nicht beibehalten, die uns auf jedem Felſen einen Garten finden laͤßt? — Und iſt denn meine jetzige Meinung nicht vielleicht eben ſo wohl Taͤuſchung, als meine vorhergehende? — Mir faͤllt es erſt jetzt ein, daß beide Anſichten der Welt und ihrer Schaͤz- ze einſeitig ſind und es ſeyn muͤſſen, — alles liegt dunkel und raͤthſelhaft vor unſern Fuͤßen, wer ſteht mir dafuͤr ein, daß ich nicht einen weit groͤßeren Irrthum gegen einen kleineren eingetauſcht habe? Als ich mich ſo meiner vorigen Exiſtenz er- innerte, als ich alle Scenen, die mich ſonſt ent- zuͤckten, meinen Augen voruͤbergehen ließ, als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/28
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/28>, abgerufen am 23.11.2024.