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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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bekannten Gesichtern begegneten, als ich unsre
Donna Bianka an ihrem Fenster sah. Die
Einsamkeit, die engen Wände sind es, die uns
verdrüßlich und melancholisch machen; mit der
freieren Luft athmet der Mensch eine freiere
Seele ein, und fühlt sich wie der Adler, der
sich mit regerem Flügelschlag über die finstern
Wolken hinaushebt. -- Ich komme jetzt eben
von der schönen Bianka zurück, und mein
Brief ist mir unverständlich. Ich bin oft dar-
auf gefallen, daß man nur immer suchen sollte,
recht viele Menschen und ihre Gemüthsart und
Ansicht der Dinge kennen zu lernen, wir verlie-
ren uns sonst gar zu leicht in klägliche Träume-
reien: aber jedes neue Gesicht und jedes
fremde Wort eröfnet uns die Augen über
unsre Irrthümer. Ich kann oft einem ein-
fältigen Menschen wie einem Orakel zuhö-
ren, weil er mich durch seine Reden in einen
ganz neuen Gesichtspunkt stellt, weil ich mich so
in ihn hineindenken kann, und dabei zugleich
meine eigene Gemüthsstimmung vergleiche, daß
ich selbst in seinem einfältigsten Geschwätz einen
tiefen gedankenreichen Sinn entdecke. Bei Wei-
bern vorzüglich habe ich aus jedem gesproche-

bekannten Geſichtern begegneten, als ich unſre
Donna Bianka an ihrem Fenſter ſah. Die
Einſamkeit, die engen Waͤnde ſind es, die uns
verdruͤßlich und melancholiſch machen; mit der
freieren Luft athmet der Menſch eine freiere
Seele ein, und fuͤhlt ſich wie der Adler, der
ſich mit regerem Fluͤgelſchlag uͤber die finſtern
Wolken hinaushebt. — Ich komme jetzt eben
von der ſchoͤnen Bianka zuruͤck, und mein
Brief iſt mir unverſtaͤndlich. Ich bin oft dar-
auf gefallen, daß man nur immer ſuchen ſollte,
recht viele Menſchen und ihre Gemuͤthsart und
Anſicht der Dinge kennen zu lernen, wir verlie-
ren uns ſonſt gar zu leicht in klaͤgliche Traͤume-
reien: aber jedes neue Geſicht und jedes
fremde Wort eroͤfnet uns die Augen uͤber
unſre Irrthuͤmer. Ich kann oft einem ein-
faͤltigen Menſchen wie einem Orakel zuhoͤ-
ren, weil er mich durch ſeine Reden in einen
ganz neuen Geſichtspunkt ſtellt, weil ich mich ſo
in ihn hineindenken kann, und dabei zugleich
meine eigene Gemuͤthsſtimmung vergleiche, daß
ich ſelbſt in ſeinem einfaͤltigſten Geſchwaͤtz einen
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[25/0031] bekannten Geſichtern begegneten, als ich unſre Donna Bianka an ihrem Fenſter ſah. Die Einſamkeit, die engen Waͤnde ſind es, die uns verdruͤßlich und melancholiſch machen; mit der freieren Luft athmet der Menſch eine freiere Seele ein, und fuͤhlt ſich wie der Adler, der ſich mit regerem Fluͤgelſchlag uͤber die finſtern Wolken hinaushebt. — Ich komme jetzt eben von der ſchoͤnen Bianka zuruͤck, und mein Brief iſt mir unverſtaͤndlich. Ich bin oft dar- auf gefallen, daß man nur immer ſuchen ſollte, recht viele Menſchen und ihre Gemuͤthsart und Anſicht der Dinge kennen zu lernen, wir verlie- ren uns ſonſt gar zu leicht in klaͤgliche Traͤume- reien: aber jedes neue Geſicht und jedes fremde Wort eroͤfnet uns die Augen uͤber unſre Irrthuͤmer. Ich kann oft einem ein- faͤltigen Menſchen wie einem Orakel zuhoͤ- ren, weil er mich durch ſeine Reden in einen ganz neuen Geſichtspunkt ſtellt, weil ich mich ſo in ihn hineindenken kann, und dabei zugleich meine eigene Gemuͤthsſtimmung vergleiche, daß ich ſelbſt in ſeinem einfaͤltigſten Geſchwaͤtz einen tiefen gedankenreichen Sinn entdecke. Bei Wei- bern vorzuͤglich habe ich aus jedem geſproche-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/31>, abgerufen am 09.11.2024.