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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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30.
Andrea Cosimo an William Lovell.


Jedermann hat seine eigene Stimme und nur
wenige wissen, was sie mit dieser sagen wollen.
Die ganze Welt ist nichts als ein Gemählde,
wo jedes Auge die Farben anders sieht. Auch
meine Worte gehören nur mir zu und passen
im Munde keines andern. --

Warum suchen wir immer nur Unterschiede
zu machen? Alles in der Natur hat seinen na-
hen und fernen Endzweck, wenn wir ihn auch
nicht gewahr werden, weil wir Menschen sind,
und immer wider unsern Willen uns selbst zur
Axe des Universums machen und machen müs-
sen. Eben so ist es in uns selber. -- Die
Unterschiede erfand nur der blödere Sinn, um
die Menschen in Reihen zu stellen; welcher Edle
hatte nicht dieselben Neigungen und Triebe,
dieselben Vorsätze, die der faßte, den wir ei-
nen Bösewicht nennen? Der Mensch kann nur
unterscheiden nach den Erscheinungen, die äu-

ßer-
30.
Andrea Coſimo an William Lovell.


Jedermann hat ſeine eigene Stimme und nur
wenige wiſſen, was ſie mit dieſer ſagen wollen.
Die ganze Welt iſt nichts als ein Gemaͤhlde,
wo jedes Auge die Farben anders ſieht. Auch
meine Worte gehoͤren nur mir zu und paſſen
im Munde keines andern. —

Warum ſuchen wir immer nur Unterſchiede
zu machen? Alles in der Natur hat ſeinen na-
hen und fernen Endzweck, wenn wir ihn auch
nicht gewahr werden, weil wir Menſchen ſind,
und immer wider unſern Willen uns ſelbſt zur
Axe des Univerſums machen und machen muͤſ-
ſen. Eben ſo iſt es in uns ſelber. — Die
Unterſchiede erfand nur der bloͤdere Sinn, um
die Menſchen in Reihen zu ſtellen; welcher Edle
hatte nicht dieſelben Neigungen und Triebe,
dieſelben Vorſaͤtze, die der faßte, den wir ei-
nen Boͤſewicht nennen? Der Menſch kann nur
unterſcheiden nach den Erſcheinungen, die aͤu-

ßer-
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[336/0342] 30. Andrea Coſimo an William Lovell. Rom. Jedermann hat ſeine eigene Stimme und nur wenige wiſſen, was ſie mit dieſer ſagen wollen. Die ganze Welt iſt nichts als ein Gemaͤhlde, wo jedes Auge die Farben anders ſieht. Auch meine Worte gehoͤren nur mir zu und paſſen im Munde keines andern. — Warum ſuchen wir immer nur Unterſchiede zu machen? Alles in der Natur hat ſeinen na- hen und fernen Endzweck, wenn wir ihn auch nicht gewahr werden, weil wir Menſchen ſind, und immer wider unſern Willen uns ſelbſt zur Axe des Univerſums machen und machen muͤſ- ſen. Eben ſo iſt es in uns ſelber. — Die Unterſchiede erfand nur der bloͤdere Sinn, um die Menſchen in Reihen zu ſtellen; welcher Edle hatte nicht dieſelben Neigungen und Triebe, dieſelben Vorſaͤtze, die der faßte, den wir ei- nen Boͤſewicht nennen? Der Menſch kann nur unterſcheiden nach den Erſcheinungen, die aͤu- ßer-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/342>, abgerufen am 21.11.2024.