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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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31.
Andrea Cosimo an William Lovell.


Freylich, lieber William, täuscht uns alles in
und außer uns, aber eben deswegen sollte uns
auch nichts hintergehen können. Wo sind denn
nun die Quaalen, von denen ich so oft muß re-
den hören, die unsre Irrthümer, unsre Zwei-
felsucht, der erste Sonnenstrahl unserer Ver-
nunft uns erschaffen? Es ist die Zeit, die auf
ihrem Wege durch die große weite Welt auch
durch unser Inneres zieht, und dort alles auf
eine wunderbare Weise verändert. Veränderung
ist die einzige Art, wie wir die Zeit bemerken,
und weil wir die Fähigkeit haben zu denken,
haben wir auch zugleich die Fertigkeit verschie-
denartige Gedanken hervorzubringen. Weil ei-
ne Gedankenfolge uns ermüdet und am Ende
nicht mehr beschäftigt, so macht eben dies eine
andere nothwendig; und dies nennen die Men-
schen gewöhnlich eine Veränderung ihres Cha-
rakters und ihrer Seele, weil sie sich immer
viel zu wichtig finden, und sich gern über und

31.
Andrea Coſimo an William Lovell.


Freylich, lieber William, taͤuſcht uns alles in
und außer uns, aber eben deswegen ſollte uns
auch nichts hintergehen koͤnnen. Wo ſind denn
nun die Quaalen, von denen ich ſo oft muß re-
den hoͤren, die unſre Irrthuͤmer, unſre Zwei-
felſucht, der erſte Sonnenſtrahl unſerer Ver-
nunft uns erſchaffen? Es iſt die Zeit, die auf
ihrem Wege durch die große weite Welt auch
durch unſer Inneres zieht, und dort alles auf
eine wunderbare Weiſe veraͤndert. Veraͤnderung
iſt die einzige Art, wie wir die Zeit bemerken,
und weil wir die Faͤhigkeit haben zu denken,
haben wir auch zugleich die Fertigkeit verſchie-
denartige Gedanken hervorzubringen. Weil ei-
ne Gedankenfolge uns ermuͤdet und am Ende
nicht mehr beſchaͤftigt, ſo macht eben dies eine
andere nothwendig; und dies nennen die Men-
ſchen gewoͤhnlich eine Veraͤnderung ihres Cha-
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[338/0344] 31. Andrea Coſimo an William Lovell. Rom. Freylich, lieber William, taͤuſcht uns alles in und außer uns, aber eben deswegen ſollte uns auch nichts hintergehen koͤnnen. Wo ſind denn nun die Quaalen, von denen ich ſo oft muß re- den hoͤren, die unſre Irrthuͤmer, unſre Zwei- felſucht, der erſte Sonnenſtrahl unſerer Ver- nunft uns erſchaffen? Es iſt die Zeit, die auf ihrem Wege durch die große weite Welt auch durch unſer Inneres zieht, und dort alles auf eine wunderbare Weiſe veraͤndert. Veraͤnderung iſt die einzige Art, wie wir die Zeit bemerken, und weil wir die Faͤhigkeit haben zu denken, haben wir auch zugleich die Fertigkeit verſchie- denartige Gedanken hervorzubringen. Weil ei- ne Gedankenfolge uns ermuͤdet und am Ende nicht mehr beſchaͤftigt, ſo macht eben dies eine andere nothwendig; und dies nennen die Men- ſchen gewoͤhnlich eine Veraͤnderung ihres Cha- rakters und ihrer Seele, weil ſie ſich immer viel zu wichtig finden, und ſich gern uͤber und

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/344>, abgerufen am 22.11.2024.