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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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Narren sind, die so reden wollen, wie sie den-
ken, die ganze Welt dadurch beleidigen, und
sich nur Schaden stiften. Ich denke für mich
und spreche für die andern, folglich muß ich
nur sagen, was diese gern hören. Es wird
auch Niemand erwarten, daß ich die sogenannte
Wahrheit rede, so wenig wie ich es von ei-
nem andern fordere, denn sonst müßte ich nie
jemanden etwas Schmeichelhaftes sagen, so we-
nig wie ich von irgend einem ein Kompliment
bekommen würde. Die Sprache ist nur dazu
erfunden um etwas zu sagen, was man nicht
denkt; und wie selten denkt man selbst ohne
zu lügen!

Die sogenannten Wahrheitsfreunde sind da-
her Menschen, die ausgemachte Thoren sind,
die selbst nicht wissen, was sie wollen, oder sie
sind eine andere Art von Lügnern. Sie haben
sich in den Kopf gesetzt, daß in ihrer Wahr-
heitssagerey ihr Charakter bestehe, und sie sa-
gen daher von sich und andern Leuten eine
Menge Sachen die sie wirklich nicht denken,
sie wollen sich auf diese Art etwas aus-
zeichnen, und sich freywillig verhaßt machen.
Sie sehen nicht ein, daß unsere ganze Sprache

Narren ſind, die ſo reden wollen, wie ſie den-
ken, die ganze Welt dadurch beleidigen, und
ſich nur Schaden ſtiften. Ich denke fuͤr mich
und ſpreche fuͤr die andern, folglich muß ich
nur ſagen, was dieſe gern hoͤren. Es wird
auch Niemand erwarten, daß ich die ſogenannte
Wahrheit rede, ſo wenig wie ich es von ei-
nem andern fordere, denn ſonſt muͤßte ich nie
jemanden etwas Schmeichelhaftes ſagen, ſo we-
nig wie ich von irgend einem ein Kompliment
bekommen wuͤrde. Die Sprache iſt nur dazu
erfunden um etwas zu ſagen, was man nicht
denkt; und wie ſelten denkt man ſelbſt ohne
zu luͤgen!

Die ſogenannten Wahrheitsfreunde ſind da-
her Menſchen, die ausgemachte Thoren ſind,
die ſelbſt nicht wiſſen, was ſie wollen, oder ſie
ſind eine andere Art von Luͤgnern. Sie haben
ſich in den Kopf geſetzt, daß in ihrer Wahr-
heitsſagerey ihr Charakter beſtehe, und ſie ſa-
gen daher von ſich und andern Leuten eine
Menge Sachen die ſie wirklich nicht denken,
ſie wollen ſich auf dieſe Art etwas aus-
zeichnen, und ſich freywillig verhaßt machen.
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[402/0408] Narren ſind, die ſo reden wollen, wie ſie den- ken, die ganze Welt dadurch beleidigen, und ſich nur Schaden ſtiften. Ich denke fuͤr mich und ſpreche fuͤr die andern, folglich muß ich nur ſagen, was dieſe gern hoͤren. Es wird auch Niemand erwarten, daß ich die ſogenannte Wahrheit rede, ſo wenig wie ich es von ei- nem andern fordere, denn ſonſt muͤßte ich nie jemanden etwas Schmeichelhaftes ſagen, ſo we- nig wie ich von irgend einem ein Kompliment bekommen wuͤrde. Die Sprache iſt nur dazu erfunden um etwas zu ſagen, was man nicht denkt; und wie ſelten denkt man ſelbſt ohne zu luͤgen! Die ſogenannten Wahrheitsfreunde ſind da- her Menſchen, die ausgemachte Thoren ſind, die ſelbſt nicht wiſſen, was ſie wollen, oder ſie ſind eine andere Art von Luͤgnern. Sie haben ſich in den Kopf geſetzt, daß in ihrer Wahr- heitsſagerey ihr Charakter beſtehe, und ſie ſa- gen daher von ſich und andern Leuten eine Menge Sachen die ſie wirklich nicht denken, ſie wollen ſich auf dieſe Art etwas aus- zeichnen, und ſich freywillig verhaßt machen. Sie ſehen nicht ein, daß unſere ganze Sprache

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/408>, abgerufen am 21.11.2024.