Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Jeder redet im Grunde eine Sprache, die
von der des andern völlig verschieden ist. Ich
kann also mich, meine Lage, und meinen Vor-
theil nur zur Regel meiner Denk- und Handels-
weise machen, und alle Menschen treffen zu-
sammen, und gehen einen Weg, weil alle von
demselben Grundsatze ausgehn. Ein buntes Ge-
webe ist ausgespannt, an dem ein jeder nach
seinen Kräften und Einsichten arbeitet, ein je-
der hält das was er darin thut, für das Noth-
wendigste; und doch wäre der eine ohne den
andern unnütz. In wiefern mein Nachbar
würkt, kann ich nur errathen, und ich muß
daher auf meine eigene Beschäftigungen acht
geben.

Viele Menschen wissen gar nicht, was sie
von den übrigen fordern sollen, und zu diesen
gehört Lovell. In Gedanken macht er sehr
große Prätensionen an meine Freundschaft. Ich
fordre von den Menschen nicht mehr, als was
sie mir leisten; und dies vorher zu wissen, ist
der Kalkül meines Umgangs; je gewisser ich
diesen rechne, jemehr kenne ich die Menschen,
und das ganze übrige Leben von Zuneigung
und Wohlwollen uneigennütziger Freundschaft,

Jeder redet im Grunde eine Sprache, die
von der des andern voͤllig verſchieden iſt. Ich
kann alſo mich, meine Lage, und meinen Vor-
theil nur zur Regel meiner Denk- und Handels-
weiſe machen, und alle Menſchen treffen zu-
ſammen, und gehen einen Weg, weil alle von
demſelben Grundſatze ausgehn. Ein buntes Ge-
webe iſt ausgeſpannt, an dem ein jeder nach
ſeinen Kraͤften und Einſichten arbeitet, ein je-
der haͤlt das was er darin thut, fuͤr das Noth-
wendigſte; und doch waͤre der eine ohne den
andern unnuͤtz. In wiefern mein Nachbar
wuͤrkt, kann ich nur errathen, und ich muß
daher auf meine eigene Beſchaͤftigungen acht
geben.

Viele Menſchen wiſſen gar nicht, was ſie
von den uͤbrigen fordern ſollen, und zu dieſen
gehoͤrt Lovell. In Gedanken macht er ſehr
große Praͤtenſionen an meine Freundſchaft. Ich
fordre von den Menſchen nicht mehr, als was
ſie mir leiſten; und dies vorher zu wiſſen, iſt
der Kalkuͤl meines Umgangs; je gewiſſer ich
dieſen rechne, jemehr kenne ich die Menſchen,
und das ganze uͤbrige Leben von Zuneigung
und Wohlwollen uneigennuͤtziger Freundſchaft,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0415" n="409"/>
            <p>Jeder redet im Grunde eine Sprache, die<lb/>
von der des andern vo&#x0364;llig ver&#x017F;chieden i&#x017F;t. Ich<lb/>
kann al&#x017F;o mich, meine Lage, und meinen Vor-<lb/>
theil nur zur Regel meiner Denk- und Handels-<lb/>
wei&#x017F;e machen, und alle Men&#x017F;chen treffen zu-<lb/>
&#x017F;ammen, und gehen einen Weg, weil alle von<lb/>
dem&#x017F;elben Grund&#x017F;atze ausgehn. Ein buntes Ge-<lb/>
webe i&#x017F;t ausge&#x017F;pannt, an dem ein jeder nach<lb/>
&#x017F;einen Kra&#x0364;ften und Ein&#x017F;ichten arbeitet, ein je-<lb/>
der ha&#x0364;lt das was er darin thut, fu&#x0364;r das Noth-<lb/>
wendig&#x017F;te; und doch wa&#x0364;re der eine ohne den<lb/>
andern unnu&#x0364;tz. In wiefern mein Nachbar<lb/>
wu&#x0364;rkt, kann ich nur errathen, und ich muß<lb/>
daher auf meine eigene Be&#x017F;cha&#x0364;ftigungen acht<lb/>
geben.</p><lb/>
            <p>Viele Men&#x017F;chen wi&#x017F;&#x017F;en gar nicht, was &#x017F;ie<lb/>
von den u&#x0364;brigen fordern &#x017F;ollen, und zu die&#x017F;en<lb/>
geho&#x0364;rt Lovell. In Gedanken macht er &#x017F;ehr<lb/>
große Pra&#x0364;ten&#x017F;ionen an meine Freund&#x017F;chaft. Ich<lb/>
fordre von den Men&#x017F;chen nicht mehr, als was<lb/>
&#x017F;ie mir lei&#x017F;ten; und dies vorher zu wi&#x017F;&#x017F;en, i&#x017F;t<lb/>
der Kalku&#x0364;l meines Umgangs; je gewi&#x017F;&#x017F;er ich<lb/>
die&#x017F;en rechne, jemehr kenne ich die Men&#x017F;chen,<lb/>
und das ganze u&#x0364;brige Leben von Zuneigung<lb/>
und Wohlwollen uneigennu&#x0364;tziger Freund&#x017F;chaft,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[409/0415] Jeder redet im Grunde eine Sprache, die von der des andern voͤllig verſchieden iſt. Ich kann alſo mich, meine Lage, und meinen Vor- theil nur zur Regel meiner Denk- und Handels- weiſe machen, und alle Menſchen treffen zu- ſammen, und gehen einen Weg, weil alle von demſelben Grundſatze ausgehn. Ein buntes Ge- webe iſt ausgeſpannt, an dem ein jeder nach ſeinen Kraͤften und Einſichten arbeitet, ein je- der haͤlt das was er darin thut, fuͤr das Noth- wendigſte; und doch waͤre der eine ohne den andern unnuͤtz. In wiefern mein Nachbar wuͤrkt, kann ich nur errathen, und ich muß daher auf meine eigene Beſchaͤftigungen acht geben. Viele Menſchen wiſſen gar nicht, was ſie von den uͤbrigen fordern ſollen, und zu dieſen gehoͤrt Lovell. In Gedanken macht er ſehr große Praͤtenſionen an meine Freundſchaft. Ich fordre von den Menſchen nicht mehr, als was ſie mir leiſten; und dies vorher zu wiſſen, iſt der Kalkuͤl meines Umgangs; je gewiſſer ich dieſen rechne, jemehr kenne ich die Menſchen, und das ganze uͤbrige Leben von Zuneigung und Wohlwollen uneigennuͤtziger Freundſchaft,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/415
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/415>, abgerufen am 21.11.2024.