Er sah ein, daß er in einzelnen Stunden, wenn ihm jener glückliche Enthusiasmus verließ, die- sen auf eine erzwungene, und halb gewaltsame Art ersetzen müsse, und er erstaunte, da er fand, daß die Begeisterung sich auf die Art, sogar wieder ihren Willen, vom Himmel ziehen lasse. Denn im Menschen liegt ein seltsamer und fast unbegreiflicher Vorrath von Gefühlen, dicht neben der Ahndung liegt die Empfindung und die Idee die wir ahndeten; der Lügner kann auf seine eigene Erfindungen schwören, oh- ne einen Meineid zu thun, denn er kann in diesem Augenblicke völlig davon überzeugt seyn. Die wunderbarste Geistererscheinung kann vor mir stehen, und doch nur von meiner Phanta- sie hervorgebracht seyn. -- Auf die Art muß- te der große Mann bald zweifelhaft werden, was in ihm wahr, was falsch, was Erdich- tung, was Ueberzeugung sey, er mußte sich in manchen Stunden für nichts als einen gemei- nen Betrüger, in andern wieder für ein auser- wähltes Rüstzeug des Himmels halten. Wie durcheinander mußte sich bey ihm alles das ver- wirren, was die gewöhnlichen Menschen ihre Moralität nennen! kann man nun wohl diesel-
Er ſah ein, daß er in einzelnen Stunden, wenn ihm jener gluͤckliche Enthuſiasmus verließ, die- ſen auf eine erzwungene, und halb gewaltſame Art erſetzen muͤſſe, und er erſtaunte, da er fand, daß die Begeiſterung ſich auf die Art, ſogar wieder ihren Willen, vom Himmel ziehen laſſe. Denn im Menſchen liegt ein ſeltſamer und faſt unbegreiflicher Vorrath von Gefuͤhlen, dicht neben der Ahndung liegt die Empfindung und die Idee die wir ahndeten; der Luͤgner kann auf ſeine eigene Erfindungen ſchwoͤren, oh- ne einen Meineid zu thun, denn er kann in dieſem Augenblicke voͤllig davon uͤberzeugt ſeyn. Die wunderbarſte Geiſtererſcheinung kann vor mir ſtehen, und doch nur von meiner Phanta- ſie hervorgebracht ſeyn. — Auf die Art muß- te der große Mann bald zweifelhaft werden, was in ihm wahr, was falſch, was Erdich- tung, was Ueberzeugung ſey, er mußte ſich in manchen Stunden fuͤr nichts als einen gemei- nen Betruͤger, in andern wieder fuͤr ein auser- waͤhltes Ruͤſtzeug des Himmels halten. Wie durcheinander mußte ſich bey ihm alles das ver- wirren, was die gewoͤhnlichen Menſchen ihre Moralitaͤt nennen! kann man nun wohl dieſel-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0418"n="412"/>
Er ſah ein, daß er in einzelnen Stunden, wenn<lb/>
ihm jener gluͤckliche Enthuſiasmus verließ, die-<lb/>ſen auf eine erzwungene, und halb gewaltſame<lb/>
Art erſetzen muͤſſe, und er erſtaunte, da er<lb/>
fand, daß die Begeiſterung ſich auf die Art,<lb/>ſogar wieder ihren Willen, vom Himmel ziehen<lb/>
laſſe. Denn im Menſchen liegt ein ſeltſamer<lb/>
und faſt unbegreiflicher Vorrath von Gefuͤhlen,<lb/>
dicht neben der Ahndung liegt die Empfindung<lb/>
und die Idee die wir ahndeten; der Luͤgner<lb/>
kann auf ſeine eigene Erfindungen ſchwoͤren, oh-<lb/>
ne einen Meineid zu thun, denn er kann in<lb/>
dieſem Augenblicke voͤllig davon uͤberzeugt ſeyn.<lb/>
Die wunderbarſte Geiſtererſcheinung kann vor<lb/>
mir ſtehen, und doch nur von meiner Phanta-<lb/>ſie hervorgebracht ſeyn. — Auf die Art muß-<lb/>
te der große Mann bald zweifelhaft werden,<lb/>
was in ihm wahr, was falſch, was Erdich-<lb/>
tung, was Ueberzeugung ſey, er mußte ſich in<lb/>
manchen Stunden fuͤr nichts als einen gemei-<lb/>
nen Betruͤger, in andern wieder fuͤr ein auser-<lb/>
waͤhltes Ruͤſtzeug des Himmels halten. Wie<lb/>
durcheinander mußte ſich bey ihm alles das ver-<lb/>
wirren, was die gewoͤhnlichen Menſchen ihre<lb/>
Moralitaͤt nennen! kann man nun wohl dieſel-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[412/0418]
Er ſah ein, daß er in einzelnen Stunden, wenn
ihm jener gluͤckliche Enthuſiasmus verließ, die-
ſen auf eine erzwungene, und halb gewaltſame
Art erſetzen muͤſſe, und er erſtaunte, da er
fand, daß die Begeiſterung ſich auf die Art,
ſogar wieder ihren Willen, vom Himmel ziehen
laſſe. Denn im Menſchen liegt ein ſeltſamer
und faſt unbegreiflicher Vorrath von Gefuͤhlen,
dicht neben der Ahndung liegt die Empfindung
und die Idee die wir ahndeten; der Luͤgner
kann auf ſeine eigene Erfindungen ſchwoͤren, oh-
ne einen Meineid zu thun, denn er kann in
dieſem Augenblicke voͤllig davon uͤberzeugt ſeyn.
Die wunderbarſte Geiſtererſcheinung kann vor
mir ſtehen, und doch nur von meiner Phanta-
ſie hervorgebracht ſeyn. — Auf die Art muß-
te der große Mann bald zweifelhaft werden,
was in ihm wahr, was falſch, was Erdich-
tung, was Ueberzeugung ſey, er mußte ſich in
manchen Stunden fuͤr nichts als einen gemei-
nen Betruͤger, in andern wieder fuͤr ein auser-
waͤhltes Ruͤſtzeug des Himmels halten. Wie
durcheinander mußte ſich bey ihm alles das ver-
wirren, was die gewoͤhnlichen Menſchen ihre
Moralitaͤt nennen! kann man nun wohl dieſel-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/418>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.