sinn, diese epikurische Freigeisterei schon damals in ihm unentwickelt lagen, als wir ihn kann- ten. --
Manches stimmt mich oft recht melancholisch, so unrecht es auch seyn mag, wenn man es ist: der alte Melun ist in Paris an einer Auszeh- rung gestorben, die Comtesse mit ihrem Liebha- ber entlaufen, niemand weiß wohin. Daß so viele von den Leuten, die ich gekannt habe, schon begraben sind! daß sich schon so manche dem Ver- derben in die Arme geworfen haben!
Was ist es überhaupt für ein armseeliges Ding um das, was man gewöhnlich Ausbil- dung nennt. In den meisten Fällen ist es nur Veränderung. Wie weise habe ich mich so oft in meinem zwanzigsten Jahre gefühlt, daß ich mich über manche Narrheiten des Menschen- geschlechts erhaben fühlte: und jetzt rücken mir manche der Thorheiten so nahe, daß sie sich, wenn das Verhältniß so fortschreitet, bald mit meinem innersten Selbst vereinigen werden.
Du wirst bemerken, daß ich hier vorzüglich von meiner Liebe zu Amalien spreche. Eine Liebe, die vielleicht noch glühender ist, als die, mit der Lovell sie einst beglückte. Er hat sie
ſinn, dieſe epikuriſche Freigeiſterei ſchon damals in ihm unentwickelt lagen, als wir ihn kann- ten. —
Manches ſtimmt mich oft recht melancholiſch, ſo unrecht es auch ſeyn mag, wenn man es iſt: der alte Melun iſt in Paris an einer Auszeh- rung geſtorben, die Comteſſe mit ihrem Liebha- ber entlaufen, niemand weiß wohin. Daß ſo viele von den Leuten, die ich gekannt habe, ſchon begraben ſind! daß ſich ſchon ſo manche dem Ver- derben in die Arme geworfen haben!
Was iſt es uͤberhaupt fuͤr ein armſeeliges Ding um das, was man gewoͤhnlich Ausbil- dung nennt. In den meiſten Faͤllen iſt es nur Veraͤnderung. Wie weiſe habe ich mich ſo oft in meinem zwanzigſten Jahre gefuͤhlt, daß ich mich uͤber manche Narrheiten des Menſchen- geſchlechts erhaben fuͤhlte: und jetzt ruͤcken mir manche der Thorheiten ſo nahe, daß ſie ſich, wenn das Verhaͤltniß ſo fortſchreitet, bald mit meinem innerſten Selbſt vereinigen werden.
Du wirſt bemerken, daß ich hier vorzuͤglich von meiner Liebe zu Amalien ſpreche. Eine Liebe, die vielleicht noch gluͤhender iſt, als die, mit der Lovell ſie einſt begluͤckte. Er hat ſie
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ſinn, dieſe epikuriſche Freigeiſterei ſchon damals
in ihm unentwickelt lagen, als wir ihn kann-
ten. —
Manches ſtimmt mich oft recht melancholiſch,
ſo unrecht es auch ſeyn mag, wenn man es iſt:
der alte Melun iſt in Paris an einer Auszeh-
rung geſtorben, die Comteſſe mit ihrem Liebha-
ber entlaufen, niemand weiß wohin. Daß ſo
viele von den Leuten, die ich gekannt habe, ſchon
begraben ſind! daß ſich ſchon ſo manche dem Ver-
derben in die Arme geworfen haben!
Was iſt es uͤberhaupt fuͤr ein armſeeliges
Ding um das, was man gewoͤhnlich Ausbil-
dung nennt. In den meiſten Faͤllen iſt es nur
Veraͤnderung. Wie weiſe habe ich mich ſo
oft in meinem zwanzigſten Jahre gefuͤhlt, daß
ich mich uͤber manche Narrheiten des Menſchen-
geſchlechts erhaben fuͤhlte: und jetzt ruͤcken mir
manche der Thorheiten ſo nahe, daß ſie ſich,
wenn das Verhaͤltniß ſo fortſchreitet, bald mit
meinem innerſten Selbſt vereinigen werden.
Du wirſt bemerken, daß ich hier vorzuͤglich
von meiner Liebe zu Amalien ſpreche. Eine
Liebe, die vielleicht noch gluͤhender iſt, als die,
mit der Lovell ſie einſt begluͤckte. Er hat ſie
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/58>, abgerufen am 21.11.2024.
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