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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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Wesen ist daher so leicht zu hintergehn, als
ein verliebtes Weib. Wen sie hassen, kennen sie
bis auf seine verstecktesten Züge, ja sie kennen
ihn besser, als er sich selbst, sie finden seine vor-
züglichsten Schwachheiten heraus und beweisen dar-
aus augenscheinlich, daß aus ihnen zugleich das
fließe, was die übrigen Menschen an einem sol-
chen gut und lobenswürdig nennen. Wenn sie
neue Ideen in ihren Kopf aufnehmen; so be-
steht ihr Denken darin, daß sie selbst ihre vo-
rigen Gedanken überlisten und sie dann despo-
tisch vertreiben, ohne sie nachher auch nur der
Mühe werth zu halten, daß sie darüber spre-
chen, und wer das Unglück hat, diese Ideen
grade zu äußern, den halten sie unter allen
Einfältigen für den Einfältigsten. In jedem
Lustrum wechseln sie mit einigen Hauptgedanken,
die sich ganz verschieden organisiren, je nachdem
sie heyrathen, oder ledig bleiben; je älter sie
werden, je mehr beleidigt man sie durch Nach-
läßigkeiten und um so weniger durch wirkliche
Beleidigungen: aber selbst in der höchsten Ver-
traulichkeit, selbst in der aufrichtigsten Stim-
mung kann man es nie dahin bringen, daß ein
Weib gegen einen Mann ganz aufrichtig sey.

Lovell. 3r. Bd. H

Weſen iſt daher ſo leicht zu hintergehn, als
ein verliebtes Weib. Wen ſie haſſen, kennen ſie
bis auf ſeine verſteckteſten Zuͤge, ja ſie kennen
ihn beſſer, als er ſich ſelbſt, ſie finden ſeine vor-
zuͤglichſten Schwachheiten heraus und beweiſen dar-
aus augenſcheinlich, daß aus ihnen zugleich das
fließe, was die uͤbrigen Menſchen an einem ſol-
chen gut und lobenswuͤrdig nennen. Wenn ſie
neue Ideen in ihren Kopf aufnehmen; ſo be-
ſteht ihr Denken darin, daß ſie ſelbſt ihre vo-
rigen Gedanken uͤberliſten und ſie dann deſpo-
tiſch vertreiben, ohne ſie nachher auch nur der
Muͤhe werth zu halten, daß ſie daruͤber ſpre-
chen, und wer das Ungluͤck hat, dieſe Ideen
grade zu aͤußern, den halten ſie unter allen
Einfaͤltigen fuͤr den Einfaͤltigſten. In jedem
Luſtrum wechſeln ſie mit einigen Hauptgedanken,
die ſich ganz verſchieden organiſiren, je nachdem
ſie heyrathen, oder ledig bleiben; je aͤlter ſie
werden, je mehr beleidigt man ſie durch Nach-
laͤßigkeiten und um ſo weniger durch wirkliche
Beleidigungen: aber ſelbſt in der hoͤchſten Ver-
traulichkeit, ſelbſt in der aufrichtigſten Stim-
mung kann man es nie dahin bringen, daß ein
Weib gegen einen Mann ganz aufrichtig ſey.

Lovell. 3r. Bd. H
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[113/0120] Weſen iſt daher ſo leicht zu hintergehn, als ein verliebtes Weib. Wen ſie haſſen, kennen ſie bis auf ſeine verſteckteſten Zuͤge, ja ſie kennen ihn beſſer, als er ſich ſelbſt, ſie finden ſeine vor- zuͤglichſten Schwachheiten heraus und beweiſen dar- aus augenſcheinlich, daß aus ihnen zugleich das fließe, was die uͤbrigen Menſchen an einem ſol- chen gut und lobenswuͤrdig nennen. Wenn ſie neue Ideen in ihren Kopf aufnehmen; ſo be- ſteht ihr Denken darin, daß ſie ſelbſt ihre vo- rigen Gedanken uͤberliſten und ſie dann deſpo- tiſch vertreiben, ohne ſie nachher auch nur der Muͤhe werth zu halten, daß ſie daruͤber ſpre- chen, und wer das Ungluͤck hat, dieſe Ideen grade zu aͤußern, den halten ſie unter allen Einfaͤltigen fuͤr den Einfaͤltigſten. In jedem Luſtrum wechſeln ſie mit einigen Hauptgedanken, die ſich ganz verſchieden organiſiren, je nachdem ſie heyrathen, oder ledig bleiben; je aͤlter ſie werden, je mehr beleidigt man ſie durch Nach- laͤßigkeiten und um ſo weniger durch wirkliche Beleidigungen: aber ſelbſt in der hoͤchſten Ver- traulichkeit, ſelbſt in der aufrichtigſten Stim- mung kann man es nie dahin bringen, daß ein Weib gegen einen Mann ganz aufrichtig ſey. Lovell. 3r. Bd. H

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/120>, abgerufen am 23.11.2024.