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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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und mir etwas Geschriebenes von ihr in die
Hände fiel, o da kam der Jammer von neuem
über meine Seele, und ich empfand es, daß
mein armes, zerrissenes Herz keiner Denkmäh-
ler brauche, um zu trauern. Es ist betrübt,
daß wir alles gern putzen und verschönern mö-
gen und oft über den Putz und die Zufälligkei-
ten die Sache selbst vergessen. -- Dein blo-
ßer Nahme, Emilie, ruft alles in meine Seele
zurück; alle Erinnerungen ehemaliger Freude,
jede Liebkosung von Dir, jeden Scherz, die
Spiele der Kinderjahre, -- ach Mortimer, ich
möchte manchmal verzweifeln, wenn es mir so
ganz frisch wieder einfällt, daß alles nun wirk-
lich vorüber ist, daß es nicht ängstliche Einbil-
dung von mir, sondern daß es wir klich ist.
-- O ich glaube, daß ich nicht genug leiden,
daß ich nicht laut genug klagen kann.

Könnt' ich doch die Vergangenheit zurück-
rufen! O ihre zärtlichste Liebe sollte mir nun
gewiß nicht entgehen, sie sollte jetzt gewiß
nicht vor mir fliehen! -- Aus übelverstande-
ner Männlichkeit, mit einem schlecht ange-

und mir etwas Geſchriebenes von ihr in die
Haͤnde fiel, o da kam der Jammer von neuem
uͤber meine Seele, und ich empfand es, daß
mein armes, zerriſſenes Herz keiner Denkmaͤh-
ler brauche, um zu trauern. Es iſt betruͤbt,
daß wir alles gern putzen und verſchoͤnern moͤ-
gen und oft uͤber den Putz und die Zufaͤlligkei-
ten die Sache ſelbſt vergeſſen. — Dein blo-
ßer Nahme, Emilie, ruft alles in meine Seele
zuruͤck; alle Erinnerungen ehemaliger Freude,
jede Liebkoſung von Dir, jeden Scherz, die
Spiele der Kinderjahre, — ach Mortimer, ich
moͤchte manchmal verzweifeln, wenn es mir ſo
ganz friſch wieder einfaͤllt, daß alles nun wirk-
lich voruͤber iſt, daß es nicht aͤngſtliche Einbil-
dung von mir, ſondern daß es wir klich iſt.
— O ich glaube, daß ich nicht genug leiden,
daß ich nicht laut genug klagen kann.

Koͤnnt' ich doch die Vergangenheit zuruͤck-
rufen! O ihre zaͤrtlichſte Liebe ſollte mir nun
gewiß nicht entgehen, ſie ſollte jetzt gewiß
nicht vor mir fliehen! — Aus uͤbelverſtande-
ner Maͤnnlichkeit, mit einem ſchlecht ange-

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[141/0148] und mir etwas Geſchriebenes von ihr in die Haͤnde fiel, o da kam der Jammer von neuem uͤber meine Seele, und ich empfand es, daß mein armes, zerriſſenes Herz keiner Denkmaͤh- ler brauche, um zu trauern. Es iſt betruͤbt, daß wir alles gern putzen und verſchoͤnern moͤ- gen und oft uͤber den Putz und die Zufaͤlligkei- ten die Sache ſelbſt vergeſſen. — Dein blo- ßer Nahme, Emilie, ruft alles in meine Seele zuruͤck; alle Erinnerungen ehemaliger Freude, jede Liebkoſung von Dir, jeden Scherz, die Spiele der Kinderjahre, — ach Mortimer, ich moͤchte manchmal verzweifeln, wenn es mir ſo ganz friſch wieder einfaͤllt, daß alles nun wirk- lich voruͤber iſt, daß es nicht aͤngſtliche Einbil- dung von mir, ſondern daß es wir klich iſt. — O ich glaube, daß ich nicht genug leiden, daß ich nicht laut genug klagen kann. Koͤnnt' ich doch die Vergangenheit zuruͤck- rufen! O ihre zaͤrtlichſte Liebe ſollte mir nun gewiß nicht entgehen, ſie ſollte jetzt gewiß nicht vor mir fliehen! — Aus uͤbelverſtande- ner Maͤnnlichkeit, mit einem ſchlecht ange-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/148>, abgerufen am 27.11.2024.