wahnsinnig zu werden, wenn man diesen Ge- danken nachhängen wollte. Was habe ich je gedacht, was nicht ursprünglich aus Andrea's Kopfe gekommen wäre? Ich fühle und bekenne meine Schwäche. Sollte ich ihn aufgeben, so würde ich mit ihm alles dahin geben, was mich zusammenhält, ich habe so vieles gethan, um ihm nahe zu kommen und alles sollte nun ver- geblich seyn!
Und dann ist es unmöglich! Ich kann Ih- nen nicht sagen, warum, aber glauben Sie mir, es ist unmöglich. Wenn der Mensch wüß- te, zu welchen Folgen ihn ein ganz gleichgültig scheinender Schritt führen könnte, er würde es nicht wagen, den Fuß aus der Stelle zu setzen.
Am wenigsten kann ich mir jene Lügen vergeben, die ich mir selber vorsagte; in einer gewissen Spannung sucht man das Wunderbare und stellt selbst das Gewöhnliche auf eine selt- same Weise. Diese Uebertreibung drückt mein Herz schwer nieder, ob ich gleich nicht ganz Ihrer Meynung seyn kann, daß Andrea nicht in einem hohen Grade Verehrung verdiene; wenn wir ihn auch nicht begreifen können,
wahnſinnig zu werden, wenn man dieſen Ge- danken nachhaͤngen wollte. Was habe ich je gedacht, was nicht urſpruͤnglich aus Andrea's Kopfe gekommen waͤre? Ich fuͤhle und bekenne meine Schwaͤche. Sollte ich ihn aufgeben, ſo wuͤrde ich mit ihm alles dahin geben, was mich zuſammenhaͤlt, ich habe ſo vieles gethan, um ihm nahe zu kommen und alles ſollte nun ver- geblich ſeyn!
Und dann iſt es unmoͤglich! Ich kann Ih- nen nicht ſagen, warum, aber glauben Sie mir, es iſt unmoͤglich. Wenn der Menſch wuͤß- te, zu welchen Folgen ihn ein ganz gleichguͤltig ſcheinender Schritt fuͤhren koͤnnte, er wuͤrde es nicht wagen, den Fuß aus der Stelle zu ſetzen.
Am wenigſten kann ich mir jene Luͤgen vergeben, die ich mir ſelber vorſagte; in einer gewiſſen Spannung ſucht man das Wunderbare und ſtellt ſelbſt das Gewoͤhnliche auf eine ſelt- ſame Weiſe. Dieſe Uebertreibung druͤckt mein Herz ſchwer nieder, ob ich gleich nicht ganz Ihrer Meynung ſeyn kann, daß Andrea nicht in einem hohen Grade Verehrung verdiene; wenn wir ihn auch nicht begreifen koͤnnen,
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wahnſinnig zu werden, wenn man dieſen Ge-
danken nachhaͤngen wollte. Was habe ich je
gedacht, was nicht urſpruͤnglich aus Andrea's
Kopfe gekommen waͤre? Ich fuͤhle und bekenne
meine Schwaͤche. Sollte ich ihn aufgeben, ſo
wuͤrde ich mit ihm alles dahin geben, was mich
zuſammenhaͤlt, ich habe ſo vieles gethan, um
ihm nahe zu kommen und alles ſollte nun ver-
geblich ſeyn!
Und dann iſt es unmoͤglich! Ich kann Ih-
nen nicht ſagen, warum, aber glauben Sie
mir, es iſt unmoͤglich. Wenn der Menſch wuͤß-
te, zu welchen Folgen ihn ein ganz gleichguͤltig
ſcheinender Schritt fuͤhren koͤnnte, er wuͤrde es
nicht wagen, den Fuß aus der Stelle zu ſetzen.
Am wenigſten kann ich mir jene Luͤgen
vergeben, die ich mir ſelber vorſagte; in einer
gewiſſen Spannung ſucht man das Wunderbare
und ſtellt ſelbſt das Gewoͤhnliche auf eine ſelt-
ſame Weiſe. Dieſe Uebertreibung druͤckt mein
Herz ſchwer nieder, ob ich gleich nicht ganz
Ihrer Meynung ſeyn kann, daß Andrea nicht
in einem hohen Grade Verehrung verdiene;
wenn wir ihn auch nicht begreifen koͤnnen,
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/189>, abgerufen am 24.11.2024.
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