nicht, wenn die Mutter zurückkäme, für den Dieb angesehn zu werden.
Dies ist das Bild der Menschheit! -- O, wie ist meine Phantasie mit Schmutz und ekel- haften Bildern angefüllt! -- Wie oft leid' ich hier in der größten Versammlung der Menschen heimlichen Hunger, und keiner weiß es, und keiner fragt darnach. -- O Amalie, wenn Du es wüßtest, gewiß, Du würdest mir helfen. -- Doch nein, nein, auch Du gehörst den Men- schen an; Du würdest Dir eine Bequemlichkeit versagen müssen, die Dir vielleicht zum Be- dürfnisse geworden ist. -- Ich würde Dich nicht darum bitten, wenn ich Dich auch vor dem Lager meines Elends vorübergehen sähe. -- Es soll aber anders werden! Es muß sich än- dern! Es giebt keine Liebe und ich kann bey dieser keine Hülfe suchen; ich muß mir durch mich selber helfen. Ist es nicht schändlich, daß ich hier liege und in meiner Trägheit jede Gelegenheit vorbeyschlüpfen lasse? -- Es ist endlich Zeit, daß ich mich zusammenraffe. Sie werden mich nicht tadeln, Rosa, und Sie ha- ben auch kein Recht dazu. -- Leben Sie wohl, bis Sie einen bessern Brief von mir erhalten.
nicht, wenn die Mutter zuruͤckkaͤme, fuͤr den Dieb angeſehn zu werden.
Dies iſt das Bild der Menſchheit! — O, wie iſt meine Phantaſie mit Schmutz und ekel- haften Bildern angefuͤllt! — Wie oft leid' ich hier in der groͤßten Verſammlung der Menſchen heimlichen Hunger, und keiner weiß es, und keiner fragt darnach. — O Amalie, wenn Du es wuͤßteſt, gewiß, Du wuͤrdeſt mir helfen. — Doch nein, nein, auch Du gehoͤrſt den Men- ſchen an; Du wuͤrdeſt Dir eine Bequemlichkeit verſagen muͤſſen, die Dir vielleicht zum Be- duͤrfniſſe geworden iſt. — Ich wuͤrde Dich nicht darum bitten, wenn ich Dich auch vor dem Lager meines Elends voruͤbergehen ſaͤhe. — Es ſoll aber anders werden! Es muß ſich aͤn- dern! Es giebt keine Liebe und ich kann bey dieſer keine Huͤlfe ſuchen; ich muß mir durch mich ſelber helfen. Iſt es nicht ſchaͤndlich, daß ich hier liege und in meiner Traͤgheit jede Gelegenheit vorbeyſchluͤpfen laſſe? — Es iſt endlich Zeit, daß ich mich zuſammenraffe. Sie werden mich nicht tadeln, Roſa, und Sie ha- ben auch kein Recht dazu. — Leben Sie wohl, bis Sie einen beſſern Brief von mir erhalten.
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nicht, wenn die Mutter zuruͤckkaͤme, fuͤr den
Dieb angeſehn zu werden.
Dies iſt das Bild der Menſchheit! — O,
wie iſt meine Phantaſie mit Schmutz und ekel-
haften Bildern angefuͤllt! — Wie oft leid' ich
hier in der groͤßten Verſammlung der Menſchen
heimlichen Hunger, und keiner weiß es, und
keiner fragt darnach. — O Amalie, wenn Du
es wuͤßteſt, gewiß, Du wuͤrdeſt mir helfen. —
Doch nein, nein, auch Du gehoͤrſt den Men-
ſchen an; Du wuͤrdeſt Dir eine Bequemlichkeit
verſagen muͤſſen, die Dir vielleicht zum Be-
duͤrfniſſe geworden iſt. — Ich wuͤrde Dich
nicht darum bitten, wenn ich Dich auch vor
dem Lager meines Elends voruͤbergehen ſaͤhe. —
Es ſoll aber anders werden! Es muß ſich aͤn-
dern! Es giebt keine Liebe und ich kann bey
dieſer keine Huͤlfe ſuchen; ich muß mir durch
mich ſelber helfen. Iſt es nicht ſchaͤndlich,
daß ich hier liege und in meiner Traͤgheit jede
Gelegenheit vorbeyſchluͤpfen laſſe? — Es iſt
endlich Zeit, daß ich mich zuſammenraffe. Sie
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/268>, abgerufen am 22.11.2024.
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