auf, und manches Gemeinere hat jetzt mein Sinn geadelt. Manche Träumereyen und selt same Gefühle liegen mir jetzt nicht so nahe wie sonst, ich fühle mich mit festeren Ketten an die Erde geschlossen und ich liebe sie mehr, als ich meine vorige Freiheit liebte. Ich halte jetzt das Leben nicht mehr für einen Taumel, son- dern ich finde es ernsthafter, ob es mir gleich prosaischer vorkömmt: man sollte nie ein ande- res suchen, um das Wirkliche zu finden, denn sonst lockt uns leicht die abentheuerliche Wen- dung so sehr an, daß wir der Rückkehr ver- gessen.
Vergeben Sie mir mein Geschwätz, liebe Betty, aber Sie werden vielleicht eben so em- pfinden, wenn Sie Mutter sind; ich wollte Ihnen nur meine jetzige Empfindung schildern und in diesem Bestreben ward die Beschreibung zu weitläuftig. Ich komme mir jedesmal ein- fältig vor, wenn ich etwas Ernsthaftes sagen will, und doch liegt das Ernsthafte meinem Herzen immer so nahe. Die Affektation scheint in der menschlichen Natur so einheimisch zu seyn, daß, wenn wir uns auch nicht zieren, doch immer ein leiser Verdacht in uns anschlägt,
auf, und manches Gemeinere hat jetzt mein Sinn geadelt. Manche Traͤumereyen und ſelt ſame Gefuͤhle liegen mir jetzt nicht ſo nahe wie ſonſt, ich fuͤhle mich mit feſteren Ketten an die Erde geſchloſſen und ich liebe ſie mehr, als ich meine vorige Freiheit liebte. Ich halte jetzt das Leben nicht mehr fuͤr einen Taumel, ſon- dern ich finde es ernſthafter, ob es mir gleich proſaiſcher vorkoͤmmt: man ſollte nie ein ande- res ſuchen, um das Wirkliche zu finden, denn ſonſt lockt uns leicht die abentheuerliche Wen- dung ſo ſehr an, daß wir der Ruͤckkehr ver- geſſen.
Vergeben Sie mir mein Geſchwaͤtz, liebe Betty, aber Sie werden vielleicht eben ſo em- pfinden, wenn Sie Mutter ſind; ich wollte Ihnen nur meine jetzige Empfindung ſchildern und in dieſem Beſtreben ward die Beſchreibung zu weitlaͤuftig. Ich komme mir jedesmal ein- faͤltig vor, wenn ich etwas Ernſthaftes ſagen will, und doch liegt das Ernſthafte meinem Herzen immer ſo nahe. Die Affektation ſcheint in der menſchlichen Natur ſo einheimiſch zu ſeyn, daß, wenn wir uns auch nicht zieren, doch immer ein leiſer Verdacht in uns anſchlaͤgt,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0308"n="301"/>
auf, und manches Gemeinere hat jetzt mein<lb/>
Sinn geadelt. Manche Traͤumereyen und ſelt<lb/>ſame Gefuͤhle liegen mir jetzt nicht ſo nahe wie<lb/>ſonſt, ich fuͤhle mich mit feſteren Ketten an die<lb/>
Erde geſchloſſen und ich liebe ſie mehr, als ich<lb/>
meine vorige Freiheit liebte. Ich halte jetzt<lb/>
das Leben nicht mehr fuͤr einen Taumel, ſon-<lb/>
dern ich finde es ernſthafter, ob es mir gleich<lb/>
proſaiſcher vorkoͤmmt: man ſollte nie ein ande-<lb/>
res ſuchen, um das Wirkliche zu finden, denn<lb/>ſonſt lockt uns leicht die abentheuerliche Wen-<lb/>
dung ſo ſehr an, daß wir der Ruͤckkehr ver-<lb/>
geſſen.</p><lb/><p>Vergeben Sie mir mein Geſchwaͤtz, liebe<lb/>
Betty, aber Sie werden vielleicht eben ſo em-<lb/>
pfinden, wenn Sie Mutter ſind; ich wollte<lb/>
Ihnen nur meine jetzige Empfindung ſchildern<lb/>
und in dieſem Beſtreben ward die Beſchreibung<lb/>
zu weitlaͤuftig. Ich komme mir jedesmal ein-<lb/>
faͤltig vor, wenn ich etwas Ernſthaftes ſagen<lb/>
will, und doch liegt das Ernſthafte meinem<lb/>
Herzen immer ſo nahe. Die Affektation ſcheint<lb/>
in der menſchlichen Natur ſo einheimiſch zu<lb/>ſeyn, daß, wenn wir uns auch nicht zieren, doch<lb/>
immer ein leiſer Verdacht in uns anſchlaͤgt,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[301/0308]
auf, und manches Gemeinere hat jetzt mein
Sinn geadelt. Manche Traͤumereyen und ſelt
ſame Gefuͤhle liegen mir jetzt nicht ſo nahe wie
ſonſt, ich fuͤhle mich mit feſteren Ketten an die
Erde geſchloſſen und ich liebe ſie mehr, als ich
meine vorige Freiheit liebte. Ich halte jetzt
das Leben nicht mehr fuͤr einen Taumel, ſon-
dern ich finde es ernſthafter, ob es mir gleich
proſaiſcher vorkoͤmmt: man ſollte nie ein ande-
res ſuchen, um das Wirkliche zu finden, denn
ſonſt lockt uns leicht die abentheuerliche Wen-
dung ſo ſehr an, daß wir der Ruͤckkehr ver-
geſſen.
Vergeben Sie mir mein Geſchwaͤtz, liebe
Betty, aber Sie werden vielleicht eben ſo em-
pfinden, wenn Sie Mutter ſind; ich wollte
Ihnen nur meine jetzige Empfindung ſchildern
und in dieſem Beſtreben ward die Beſchreibung
zu weitlaͤuftig. Ich komme mir jedesmal ein-
faͤltig vor, wenn ich etwas Ernſthaftes ſagen
will, und doch liegt das Ernſthafte meinem
Herzen immer ſo nahe. Die Affektation ſcheint
in der menſchlichen Natur ſo einheimiſch zu
ſeyn, daß, wenn wir uns auch nicht zieren, doch
immer ein leiſer Verdacht in uns anſchlaͤgt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/308>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.