Mein Vater fürchtete sich vor Gespenstern, und sah oft in den Ecken etwas stehn, vor dem er sich innig entsetzte: er theilte mir diese unbe- kannte und unbegreifliche Furcht mit, und die Welt und das menschliche Leben kamen mir dadurch noch seltsamer vor. -- Bey Tage saßen wir oft unter einer großen und lärmenden Gesellschaft von gemeinen Leuten, und ließen unsre Lieder hören; das Getümmel, die Ver- schwendung, Unmäßigkeit und die wenige Auf- merksamkeit auf uns rührte mich ganz außeror- dentlich; mein Vater tröstete mich dann und sagte mir, daß dies so die Weise der Menschen sey, daß daraus das menschliche Leben bestehe. -- O wie lebhaft und schmerzlich fällt mir heute alles, alles wieder ein, was ich immer zu ver- gessen suchte.
Ein paar arme Mädchen gesellten sich zu mir und manchmal waren wir jugendlich lustig, und es kam mir dann ordentlich vor, als ge- hörte ich auch mit zur Welt, ich war dann in mir selber dreister. -- Wenn ich aber wieder unter die übrigen Menschen trat, so schlug mich jeder gute Anzug nieder, jede vorbeyfahrende Kutsche beschämte mich und ich verachtete mich
Mein Vater fuͤrchtete ſich vor Geſpenſtern, und ſah oft in den Ecken etwas ſtehn, vor dem er ſich innig entſetzte: er theilte mir dieſe unbe- kannte und unbegreifliche Furcht mit, und die Welt und das menſchliche Leben kamen mir dadurch noch ſeltſamer vor. — Bey Tage ſaßen wir oft unter einer großen und laͤrmenden Geſellſchaft von gemeinen Leuten, und ließen unſre Lieder hoͤren; das Getuͤmmel, die Ver- ſchwendung, Unmaͤßigkeit und die wenige Auf- merkſamkeit auf uns ruͤhrte mich ganz außeror- dentlich; mein Vater troͤſtete mich dann und ſagte mir, daß dies ſo die Weiſe der Menſchen ſey, daß daraus das menſchliche Leben beſtehe. — O wie lebhaft und ſchmerzlich faͤllt mir heute alles, alles wieder ein, was ich immer zu ver- geſſen ſuchte.
Ein paar arme Maͤdchen geſellten ſich zu mir und manchmal waren wir jugendlich luſtig, und es kam mir dann ordentlich vor, als ge- hoͤrte ich auch mit zur Welt, ich war dann in mir ſelber dreiſter. — Wenn ich aber wieder unter die uͤbrigen Menſchen trat, ſo ſchlug mich jeder gute Anzug nieder, jede vorbeyfahrende Kutſche beſchaͤmte mich und ich verachtete mich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0339"n="332"/>
Mein Vater fuͤrchtete ſich vor Geſpenſtern, und<lb/>ſah oft in den Ecken etwas ſtehn, vor dem er<lb/>ſich innig entſetzte: er theilte mir dieſe unbe-<lb/>
kannte und unbegreifliche Furcht mit, und die<lb/>
Welt und das menſchliche Leben kamen mir<lb/>
dadurch noch ſeltſamer vor. — Bey Tage<lb/>ſaßen wir oft unter einer großen und laͤrmenden<lb/>
Geſellſchaft von gemeinen Leuten, und ließen<lb/>
unſre Lieder hoͤren; das Getuͤmmel, die Ver-<lb/>ſchwendung, Unmaͤßigkeit und die wenige Auf-<lb/>
merkſamkeit auf uns ruͤhrte mich ganz außeror-<lb/>
dentlich; mein Vater troͤſtete mich dann und<lb/>ſagte mir, daß dies ſo die Weiſe der Menſchen<lb/>ſey, daß daraus das menſchliche Leben beſtehe.<lb/>— O wie lebhaft und ſchmerzlich faͤllt mir heute<lb/>
alles, alles wieder ein, was ich immer zu ver-<lb/>
geſſen ſuchte.</p><lb/><p>Ein paar arme Maͤdchen geſellten ſich zu<lb/>
mir und manchmal waren wir jugendlich luſtig,<lb/>
und es kam mir dann ordentlich vor, als ge-<lb/>
hoͤrte ich auch mit zur Welt, ich war dann in<lb/>
mir ſelber dreiſter. — Wenn ich aber wieder<lb/>
unter die uͤbrigen Menſchen trat, ſo ſchlug mich<lb/>
jeder gute Anzug nieder, jede vorbeyfahrende<lb/>
Kutſche beſchaͤmte mich und ich verachtete mich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[332/0339]
Mein Vater fuͤrchtete ſich vor Geſpenſtern, und
ſah oft in den Ecken etwas ſtehn, vor dem er
ſich innig entſetzte: er theilte mir dieſe unbe-
kannte und unbegreifliche Furcht mit, und die
Welt und das menſchliche Leben kamen mir
dadurch noch ſeltſamer vor. — Bey Tage
ſaßen wir oft unter einer großen und laͤrmenden
Geſellſchaft von gemeinen Leuten, und ließen
unſre Lieder hoͤren; das Getuͤmmel, die Ver-
ſchwendung, Unmaͤßigkeit und die wenige Auf-
merkſamkeit auf uns ruͤhrte mich ganz außeror-
dentlich; mein Vater troͤſtete mich dann und
ſagte mir, daß dies ſo die Weiſe der Menſchen
ſey, daß daraus das menſchliche Leben beſtehe.
— O wie lebhaft und ſchmerzlich faͤllt mir heute
alles, alles wieder ein, was ich immer zu ver-
geſſen ſuchte.
Ein paar arme Maͤdchen geſellten ſich zu
mir und manchmal waren wir jugendlich luſtig,
und es kam mir dann ordentlich vor, als ge-
hoͤrte ich auch mit zur Welt, ich war dann in
mir ſelber dreiſter. — Wenn ich aber wieder
unter die uͤbrigen Menſchen trat, ſo ſchlug mich
jeder gute Anzug nieder, jede vorbeyfahrende
Kutſche beſchaͤmte mich und ich verachtete mich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/339>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.