ser Leben ist nichts, als ein ewiger Kampf der neuen Eindrücke mit der eigenthümlichen Bil- dung unsers Geistes: wir glauben oft, daß un- ser Charakter auf immer eine neue Wendung nimmt, und plötzlich sind wir dann wieder eben so, wie wir gewöhnlich waren. Ich habe mich über alle Heyrathen lustig gemacht, bis ich selbst heyrathete; nun glaubte ich, gäbe es nichts Ernsthafteres in der Welt, und jetzt wäre es mir doch wieder möglich, in die un- schuldigen Scherze mit einzustimmen. Es giebt eine Urverfassung in uns selbst, die nichts zer- stören kann, sie wird plötzlich wieder da seyn, ohne daß wir es selbst begreifen können, wie wir uns so schnell in einen ganz alten ehema- ligen Menschen haben umändern können. Daß wir aber mit einem gewissen neuen und bessern Verstande zu dieser alten Verfassung zurückkeh- ren, glaube ich selbst, denn sonst müßte man bey diesem zirkelmäßigen Leben in Verzweiflung fallen: aber so liegt in diesem Wiederkehren ein großer Trost, der, daß wir uns innerlich nie aus den Augen verlieren können, soviel wir uns auch manchmal äußerlich bemühen, es zu thun.
ſer Leben iſt nichts, als ein ewiger Kampf der neuen Eindruͤcke mit der eigenthuͤmlichen Bil- dung unſers Geiſtes: wir glauben oft, daß un- ſer Charakter auf immer eine neue Wendung nimmt, und ploͤtzlich ſind wir dann wieder eben ſo, wie wir gewoͤhnlich waren. Ich habe mich uͤber alle Heyrathen luſtig gemacht, bis ich ſelbſt heyrathete; nun glaubte ich, gaͤbe es nichts Ernſthafteres in der Welt, und jetzt waͤre es mir doch wieder moͤglich, in die un- ſchuldigen Scherze mit einzuſtimmen. Es giebt eine Urverfaſſung in uns ſelbſt, die nichts zer- ſtoͤren kann, ſie wird ploͤtzlich wieder da ſeyn, ohne daß wir es ſelbſt begreifen koͤnnen, wie wir uns ſo ſchnell in einen ganz alten ehema- ligen Menſchen haben umaͤndern koͤnnen. Daß wir aber mit einem gewiſſen neuen und beſſern Verſtande zu dieſer alten Verfaſſung zuruͤckkeh- ren, glaube ich ſelbſt, denn ſonſt muͤßte man bey dieſem zirkelmaͤßigen Leben in Verzweiflung fallen: aber ſo liegt in dieſem Wiederkehren ein großer Troſt, der, daß wir uns innerlich nie aus den Augen verlieren koͤnnen, ſoviel wir uns auch manchmal aͤußerlich bemuͤhen, es zu thun.
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ſer Leben iſt nichts, als ein ewiger Kampf der
neuen Eindruͤcke mit der eigenthuͤmlichen Bil-
dung unſers Geiſtes: wir glauben oft, daß un-
ſer Charakter auf immer eine neue Wendung
nimmt, und ploͤtzlich ſind wir dann wieder eben
ſo, wie wir gewoͤhnlich waren. Ich habe mich
uͤber alle Heyrathen luſtig gemacht, bis ich
ſelbſt heyrathete; nun glaubte ich, gaͤbe es
nichts Ernſthafteres in der Welt, und jetzt
waͤre es mir doch wieder moͤglich, in die un-
ſchuldigen Scherze mit einzuſtimmen. Es giebt
eine Urverfaſſung in uns ſelbſt, die nichts zer-
ſtoͤren kann, ſie wird ploͤtzlich wieder da ſeyn,
ohne daß wir es ſelbſt begreifen koͤnnen, wie
wir uns ſo ſchnell in einen ganz alten ehema-
ligen Menſchen haben umaͤndern koͤnnen. Daß
wir aber mit einem gewiſſen neuen und beſſern
Verſtande zu dieſer alten Verfaſſung zuruͤckkeh-
ren, glaube ich ſelbſt, denn ſonſt muͤßte man
bey dieſem zirkelmaͤßigen Leben in Verzweiflung
fallen: aber ſo liegt in dieſem Wiederkehren
ein großer Troſt, der, daß wir uns innerlich
nie aus den Augen verlieren koͤnnen, ſoviel wir
uns auch manchmal aͤußerlich bemuͤhen, es zu
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/383>, abgerufen am 22.11.2024.
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