besonders wenn sie nur ein einziges Kind haben: dies soll dann mit allen Vortreflichkeiten über- laden werden, es darf sich nicht der kleinsten Zugluft des gemeineren Lebens aussetzen, die doch so oft dazu dient, unsern Geist abzuhärten und ihn männlich zu machen, und daher kömmt es denn, daß wir an diesen Sonntagsgeschöpfen meistentheils so wenig Energie und Kraft be- merken; ein Mensch, der Geschwister hat, ist schon deswegen glücklicher. Ich wurde offenbar nur deswegen besser als meine gestorbenen Brü- der, weil mich meine Eltern vernachlässigten, ja fast verachteten; sie glaubten, ihre Sorgfalt sey an mir doch verloren, und daher gaben sie mir die Erlaubniß, mich selbst erziehn zu dür- fen: ich erzog mich freilich durch Ungezogenhei- ten, aber immer noch besser, als ganz verzogen zu werden. Ich ward häufiger gedemüthigt, als meine Brüder, und eben dadurch stolzer; ein gewisser Stolz ist die Feder, die den Menschen in den Gang bringt, die den Wunsch in ihm erzeugt, von keinen fremden Meinungen und Gesichtern abzuhängen, und die ihm die Kraft giebt, diesen Wunsch sich selber zu erfüllen.
Wenn wir nun alt sind, erleben wir viel-
beſonders wenn ſie nur ein einziges Kind haben: dies ſoll dann mit allen Vortreflichkeiten uͤber- laden werden, es darf ſich nicht der kleinſten Zugluft des gemeineren Lebens ausſetzen, die doch ſo oft dazu dient, unſern Geiſt abzuhaͤrten und ihn maͤnnlich zu machen, und daher koͤmmt es denn, daß wir an dieſen Sonntagsgeſchoͤpfen meiſtentheils ſo wenig Energie und Kraft be- merken; ein Menſch, der Geſchwiſter hat, iſt ſchon deswegen gluͤcklicher. Ich wurde offenbar nur deswegen beſſer als meine geſtorbenen Bruͤ- der, weil mich meine Eltern vernachlaͤſſigten, ja faſt verachteten; ſie glaubten, ihre Sorgfalt ſey an mir doch verloren, und daher gaben ſie mir die Erlaubniß, mich ſelbſt erziehn zu duͤr- fen: ich erzog mich freilich durch Ungezogenhei- ten, aber immer noch beſſer, als ganz verzogen zu werden. Ich ward haͤufiger gedemuͤthigt, als meine Bruͤder, und eben dadurch ſtolzer; ein gewiſſer Stolz iſt die Feder, die den Menſchen in den Gang bringt, die den Wunſch in ihm erzeugt, von keinen fremden Meinungen und Geſichtern abzuhaͤngen, und die ihm die Kraft giebt, dieſen Wunſch ſich ſelber zu erfuͤllen.
Wenn wir nun alt ſind, erleben wir viel-
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beſonders wenn ſie nur ein einziges Kind haben:
dies ſoll dann mit allen Vortreflichkeiten uͤber-
laden werden, es darf ſich nicht der kleinſten
Zugluft des gemeineren Lebens ausſetzen, die
doch ſo oft dazu dient, unſern Geiſt abzuhaͤrten
und ihn maͤnnlich zu machen, und daher koͤmmt
es denn, daß wir an dieſen Sonntagsgeſchoͤpfen
meiſtentheils ſo wenig Energie und Kraft be-
merken; ein Menſch, der Geſchwiſter hat, iſt
ſchon deswegen gluͤcklicher. Ich wurde offenbar
nur deswegen beſſer als meine geſtorbenen Bruͤ-
der, weil mich meine Eltern vernachlaͤſſigten,
ja faſt verachteten; ſie glaubten, ihre Sorgfalt
ſey an mir doch verloren, und daher gaben ſie
mir die Erlaubniß, mich ſelbſt erziehn zu duͤr-
fen: ich erzog mich freilich durch Ungezogenhei-
ten, aber immer noch beſſer, als ganz verzogen
zu werden. Ich ward haͤufiger gedemuͤthigt,
als meine Bruͤder, und eben dadurch ſtolzer; ein
gewiſſer Stolz iſt die Feder, die den Menſchen
in den Gang bringt, die den Wunſch in ihm
erzeugt, von keinen fremden Meinungen und
Geſichtern abzuhaͤngen, und die ihm die Kraft
giebt, dieſen Wunſch ſich ſelber zu erfuͤllen.
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/397>, abgerufen am 22.11.2024.
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