unterdrücken zu lassen. Das Schlimmste dabey aber ist eine gewisse dunkle, gefährliche Eitel- keit, die uns mit der Phantasie im Bunde leicht für das Gewöhnliche etwas Abentheuer- liches unterschiebt, damit wir nur nicht verge- bens hoffen dürfen. So erging es mir in jener Nacht. Andrea ging zur Stadt zurück, und ich war immer noch voll von den seltsamen Geschichten und Ideen, die er mir mitgetheilt hatte, ich verirrte mich, und meine Bangigkeit nahm mit der Finsterniß zu. Endlich traf ich auf jene Menschen. Der eine, der mich bis an's Thor brachte, hatte ein etwas seltsames Gesicht, allein erst nachher, als mich Andrea schon wiedergefunden hatte, fiel es mir ein, daß jener ihm entfernt ähnlich sehe, ja viel- leicht dacht' ich nur, daß es interessant wäre, wenn er ihm ähnlich gesehn hätte. So stellte meine Phantasie das Bild zusammen, und nach einer halben Stunde glaubte ich es selbst, und entsetzte mich davor. Auf die Art entstand jener Brief, und ich war dabey selbst von allem überzeugt, was ich niederschrieb. -- Die Phan- tasie hintergeht uns im gewöhnlichen Leben oft auf eine ähnliche Art, indem sie uns ihre Ge-
unterdruͤcken zu laſſen. Das Schlimmſte dabey aber iſt eine gewiſſe dunkle, gefaͤhrliche Eitel- keit, die uns mit der Phantaſie im Bunde leicht fuͤr das Gewoͤhnliche etwas Abentheuer- liches unterſchiebt, damit wir nur nicht verge- bens hoffen duͤrfen. So erging es mir in jener Nacht. Andrea ging zur Stadt zuruͤck, und ich war immer noch voll von den ſeltſamen Geſchichten und Ideen, die er mir mitgetheilt hatte, ich verirrte mich, und meine Bangigkeit nahm mit der Finſterniß zu. Endlich traf ich auf jene Menſchen. Der eine, der mich bis an's Thor brachte, hatte ein etwas ſeltſames Geſicht, allein erſt nachher, als mich Andrea ſchon wiedergefunden hatte, fiel es mir ein, daß jener ihm entfernt aͤhnlich ſehe, ja viel- leicht dacht' ich nur, daß es intereſſant waͤre, wenn er ihm aͤhnlich geſehn haͤtte. So ſtellte meine Phantaſie das Bild zuſammen, und nach einer halben Stunde glaubte ich es ſelbſt, und entſetzte mich davor. Auf die Art entſtand jener Brief, und ich war dabey ſelbſt von allem uͤberzeugt, was ich niederſchrieb. — Die Phan- taſie hintergeht uns im gewoͤhnlichen Leben oft auf eine aͤhnliche Art, indem ſie uns ihre Ge-
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unterdruͤcken zu laſſen. Das Schlimmſte dabey
aber iſt eine gewiſſe dunkle, gefaͤhrliche Eitel-
keit, die uns mit der Phantaſie im Bunde
leicht fuͤr das Gewoͤhnliche etwas Abentheuer-
liches unterſchiebt, damit wir nur nicht verge-
bens hoffen duͤrfen. So erging es mir in jener
Nacht. Andrea ging zur Stadt zuruͤck, und
ich war immer noch voll von den ſeltſamen
Geſchichten und Ideen, die er mir mitgetheilt
hatte, ich verirrte mich, und meine Bangigkeit
nahm mit der Finſterniß zu. Endlich traf ich
auf jene Menſchen. Der eine, der mich bis
an's Thor brachte, hatte ein etwas ſeltſames
Geſicht, allein erſt nachher, als mich Andrea
ſchon wiedergefunden hatte, fiel es mir ein,
daß jener ihm entfernt aͤhnlich ſehe, ja viel-
leicht dacht' ich nur, daß es intereſſant waͤre,
wenn er ihm aͤhnlich geſehn haͤtte. So ſtellte
meine Phantaſie das Bild zuſammen, und nach
einer halben Stunde glaubte ich es ſelbſt, und
entſetzte mich davor. Auf die Art entſtand
jener Brief, und ich war dabey ſelbſt von allem
uͤberzeugt, was ich niederſchrieb. — Die Phan-
taſie hintergeht uns im gewoͤhnlichen Leben oft
auf eine aͤhnliche Art, indem ſie uns ihre Ge-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/470>, abgerufen am 04.12.2024.
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