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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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selber jedem Plane entgegen laufen, und eben
durch ihre Weisheit einfältiger sind, als die
Dümmeren.

Ich ging trübsinnig in dem Gange auf und
ab, der an ihre Laube stieß, und sie bemerkte
mich sehr bald. Sie konnte ihre Neugierde nicht
unterdrücken, sondern stand auf und trat mir
näher. Unser Gespräch nahm eine sehr schwer-
müthige Wendung, und ich sagte vieles über
die Welt und über die Menschen, was ich wirk-
lich so meinte: meine Rolle ward mir also da-
durch um vieles leichter. Ich bemerkte daß sie
weinen mußte, und als sie auf die stärkste Art
gerührt war, entdeckte ich ihr, wer ich sey.

Ich konnte auf ihrem Gesichte bemerken, daß
die wunderbarsten Empfindungen schnell in ih-
rem Innern wechselten. Sie war auf eine sol-
che Ueberraschung, auf den Schmerz der darinn
lag, nicht vorbereitet; um sie völlig zu verwir-
ren, suchte ich sie daher noch einmal, und am
kräftigsten zu überraschen.

Ich warf mich plötzlich zu ihren Füßen nie-
der, und gestand ihr, daß zu dieser Verkleidung,
zu meinem Aufenthalt im Schlosse, mich allein
eine heftige Liebe zu ihr vermocht habe; dieß

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ſelber jedem Plane entgegen laufen, und eben
durch ihre Weisheit einfaͤltiger ſind, als die
Duͤmmeren.

Ich ging truͤbſinnig in dem Gange auf und
ab, der an ihre Laube ſtieß, und ſie bemerkte
mich ſehr bald. Sie konnte ihre Neugierde nicht
unterdruͤcken, ſondern ſtand auf und trat mir
naͤher. Unſer Geſpraͤch nahm eine ſehr ſchwer-
muͤthige Wendung, und ich ſagte vieles uͤber
die Welt und uͤber die Menſchen, was ich wirk-
lich ſo meinte: meine Rolle ward mir alſo da-
durch um vieles leichter. Ich bemerkte daß ſie
weinen mußte, und als ſie auf die ſtaͤrkſte Art
geruͤhrt war, entdeckte ich ihr, wer ich ſey.

Ich konnte auf ihrem Geſichte bemerken, daß
die wunderbarſten Empfindungen ſchnell in ih-
rem Innern wechſelten. Sie war auf eine ſol-
che Ueberraſchung, auf den Schmerz der darinn
lag, nicht vorbereitet; um ſie voͤllig zu verwir-
ren, ſuchte ich ſie daher noch einmal, und am
kraͤftigſten zu uͤberraſchen.

Ich warf mich ploͤtzlich zu ihren Fuͤßen nie-
der, und geſtand ihr, daß zu dieſer Verkleidung,
zu meinem Aufenthalt im Schloſſe, mich allein
eine heftige Liebe zu ihr vermocht habe; dieß

D 2
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[51/0058] ſelber jedem Plane entgegen laufen, und eben durch ihre Weisheit einfaͤltiger ſind, als die Duͤmmeren. Ich ging truͤbſinnig in dem Gange auf und ab, der an ihre Laube ſtieß, und ſie bemerkte mich ſehr bald. Sie konnte ihre Neugierde nicht unterdruͤcken, ſondern ſtand auf und trat mir naͤher. Unſer Geſpraͤch nahm eine ſehr ſchwer- muͤthige Wendung, und ich ſagte vieles uͤber die Welt und uͤber die Menſchen, was ich wirk- lich ſo meinte: meine Rolle ward mir alſo da- durch um vieles leichter. Ich bemerkte daß ſie weinen mußte, und als ſie auf die ſtaͤrkſte Art geruͤhrt war, entdeckte ich ihr, wer ich ſey. Ich konnte auf ihrem Geſichte bemerken, daß die wunderbarſten Empfindungen ſchnell in ih- rem Innern wechſelten. Sie war auf eine ſol- che Ueberraſchung, auf den Schmerz der darinn lag, nicht vorbereitet; um ſie voͤllig zu verwir- ren, ſuchte ich ſie daher noch einmal, und am kraͤftigſten zu uͤberraſchen. Ich warf mich ploͤtzlich zu ihren Fuͤßen nie- der, und geſtand ihr, daß zu dieſer Verkleidung, zu meinem Aufenthalt im Schloſſe, mich allein eine heftige Liebe zu ihr vermocht habe; dieß D 2

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/58>, abgerufen am 23.11.2024.