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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.
zen nicht mehr, dem bizarren Streben waren
diese Wirkungen zu gelinde, man baute Felsen-
massen, Labyrinthe, hängende Brücken, chinesi-
sche Thürmchen auf steilen Abhängen, gothische
Burgen, Ruinen aller Art, und so waren diese
verworrenen Räume am Ende mehr auf ein
unangemehmes Erschrecken, oder unbehagliche
Aengstlichkeit, als für einen stillen Genuß einge-
richtet.

Und dabei doch alles kleinlich, fiel Manfred
ein, nicht phantastisch, sondern nur arm sind
diese Tempel der Nacht und der Sonne, mit
ihren bunten affektirten Lichtern, und kommen
nicht einmal unsern gewöhnlichsten Theater-Ef-
fekten gleich.

Für das Erschrecken reizbarer oder träume-
rischer Menschen ist oft hinlänglich gesorgt, sagte
Anton, wenn unvermuthet ein Bergmann aus
einem Schacht neben dem Wege heraus zu stei-
gen scheint, oder im einsamen Dikkicht eine an-
dre widrige Puppe als Eremit vor einem Cru-
cifixe kniet. Selbst Schädel und Beingerippe
müssen dem Wandelnden zum Ergötzen dienen.

Ohne weiteren Schreck, sagte Wilibald, er-
regen schon die krummen, ewig sich verwickeln-
den Wege Angst genug. Man sieht Menschen
in der Ferne und vermuthet einen Freund unter
diesen; aber wie in aller Welt soll man es an-
stellen, sich ihnen zu nähern? Man nimmt die
Richtung nach jenem Punkt, allein der Weg läßt

sich

Einleitung.
zen nicht mehr, dem bizarren Streben waren
dieſe Wirkungen zu gelinde, man baute Felſen-
maſſen, Labyrinthe, haͤngende Bruͤcken, chineſi-
ſche Thuͤrmchen auf ſteilen Abhaͤngen, gothiſche
Burgen, Ruinen aller Art, und ſo waren dieſe
verworrenen Raͤume am Ende mehr auf ein
unangemehmes Erſchrecken, oder unbehagliche
Aengſtlichkeit, als fuͤr einen ſtillen Genuß einge-
richtet.

Und dabei doch alles kleinlich, fiel Manfred
ein, nicht phantaſtiſch, ſondern nur arm ſind
dieſe Tempel der Nacht und der Sonne, mit
ihren bunten affektirten Lichtern, und kommen
nicht einmal unſern gewoͤhnlichſten Theater-Ef-
fekten gleich.

Fuͤr das Erſchrecken reizbarer oder traͤume-
riſcher Menſchen iſt oft hinlaͤnglich geſorgt, ſagte
Anton, wenn unvermuthet ein Bergmann aus
einem Schacht neben dem Wege heraus zu ſtei-
gen ſcheint, oder im einſamen Dikkicht eine an-
dre widrige Puppe als Eremit vor einem Cru-
cifixe kniet. Selbſt Schaͤdel und Beingerippe
muͤſſen dem Wandelnden zum Ergoͤtzen dienen.

Ohne weiteren Schreck, ſagte Wilibald, er-
regen ſchon die krummen, ewig ſich verwickeln-
den Wege Angſt genug. Man ſieht Menſchen
in der Ferne und vermuthet einen Freund unter
dieſen; aber wie in aller Welt ſoll man es an-
ſtellen, ſich ihnen zu naͤhern? Man nimmt die
Richtung nach jenem Punkt, allein der Weg laͤßt

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[96/0107] Einleitung. zen nicht mehr, dem bizarren Streben waren dieſe Wirkungen zu gelinde, man baute Felſen- maſſen, Labyrinthe, haͤngende Bruͤcken, chineſi- ſche Thuͤrmchen auf ſteilen Abhaͤngen, gothiſche Burgen, Ruinen aller Art, und ſo waren dieſe verworrenen Raͤume am Ende mehr auf ein unangemehmes Erſchrecken, oder unbehagliche Aengſtlichkeit, als fuͤr einen ſtillen Genuß einge- richtet. Und dabei doch alles kleinlich, fiel Manfred ein, nicht phantaſtiſch, ſondern nur arm ſind dieſe Tempel der Nacht und der Sonne, mit ihren bunten affektirten Lichtern, und kommen nicht einmal unſern gewoͤhnlichſten Theater-Ef- fekten gleich. Fuͤr das Erſchrecken reizbarer oder traͤume- riſcher Menſchen iſt oft hinlaͤnglich geſorgt, ſagte Anton, wenn unvermuthet ein Bergmann aus einem Schacht neben dem Wege heraus zu ſtei- gen ſcheint, oder im einſamen Dikkicht eine an- dre widrige Puppe als Eremit vor einem Cru- cifixe kniet. Selbſt Schaͤdel und Beingerippe muͤſſen dem Wandelnden zum Ergoͤtzen dienen. Ohne weiteren Schreck, ſagte Wilibald, er- regen ſchon die krummen, ewig ſich verwickeln- den Wege Angſt genug. Man ſieht Menſchen in der Ferne und vermuthet einen Freund unter dieſen; aber wie in aller Welt ſoll man es an- ſtellen, ſich ihnen zu naͤhern? Man nimmt die Richtung nach jenem Punkt, allein der Weg laͤßt ſich

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/107>, abgerufen am 21.11.2024.