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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
empfinden, sondern ich soll die Kunst in jedem
Augenblicke genießen. Wenden wir uns nun zu
der sogenannten Französischen Gartenkunst, so
finden wir hier eine dieser natürlichen völlig
widersprechende. Wie sie alle Natur aus ihren
Gränzen entfernt, eben so die Erinnerung an
das Natürliche, denn so wenig Getreide und
Obst ihren Platz hier finden, eben so wenig
Baum-Parthien, die die Durchsicht decken, oder
abwechselnd reizende Gebüsche, und jene süße
Schwärmerei und musikalische Empfindung ver-
schlungener Haine und mahlerischer Ansichten.
Alles dient hier einer Empfindung, die ich am
liebsten im Gegensatz jener musikalisch schwär-
merischen Gefühle eine pathetische Entzückung
nennen möchte, alles erhebt die Seele zur Be-
geisterung, alles ist klar und unverworren; gleich
vom ersten Eintritt fühle und übersehe ich den
Plan des Ganzen, und aus jedem Punkte finde
ich mich unmittelbar in den Mittelpunkt der
großartigen Composition zurück. Dazu dienen
die großen freien Plätze, die geraden Baumgänge,
die bedeckten und verflochtenen Lauben. Sta-
tuen und Wasserkünste verhalten sich zu diesem
Garten so, wie gegenüber Saatfelder und
Weinberge, sie wollen recht bestimmt das Ge-
bildete aussprechen und darstellen, und wie man
den Park mit Unrecht die Nachahmung einer ge-
mahlten Landschaft nennen würde, da der Gärt-
ner und Mahler vielmehr aus einer gemein-

Erſte Abtheilung.
empfinden, ſondern ich ſoll die Kunſt in jedem
Augenblicke genießen. Wenden wir uns nun zu
der ſogenannten Franzoͤſiſchen Gartenkunſt, ſo
finden wir hier eine dieſer natuͤrlichen voͤllig
widerſprechende. Wie ſie alle Natur aus ihren
Graͤnzen entfernt, eben ſo die Erinnerung an
das Natuͤrliche, denn ſo wenig Getreide und
Obſt ihren Platz hier finden, eben ſo wenig
Baum-Parthien, die die Durchſicht decken, oder
abwechſelnd reizende Gebuͤſche, und jene ſuͤße
Schwaͤrmerei und muſikaliſche Empfindung ver-
ſchlungener Haine und mahleriſcher Anſichten.
Alles dient hier einer Empfindung, die ich am
liebſten im Gegenſatz jener muſikaliſch ſchwaͤr-
meriſchen Gefuͤhle eine pathetiſche Entzuͤckung
nennen moͤchte, alles erhebt die Seele zur Be-
geiſterung, alles iſt klar und unverworren; gleich
vom erſten Eintritt fuͤhle und uͤberſehe ich den
Plan des Ganzen, und aus jedem Punkte finde
ich mich unmittelbar in den Mittelpunkt der
großartigen Compoſition zuruͤck. Dazu dienen
die großen freien Plaͤtze, die geraden Baumgaͤnge,
die bedeckten und verflochtenen Lauben. Sta-
tuen und Waſſerkuͤnſte verhalten ſich zu dieſem
Garten ſo, wie gegenuͤber Saatfelder und
Weinberge, ſie wollen recht beſtimmt das Ge-
bildete ausſprechen und darſtellen, und wie man
den Park mit Unrecht die Nachahmung einer ge-
mahlten Landſchaft nennen wuͤrde, da der Gaͤrt-
ner und Mahler vielmehr aus einer gemein-

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[143/0154] Erſte Abtheilung. empfinden, ſondern ich ſoll die Kunſt in jedem Augenblicke genießen. Wenden wir uns nun zu der ſogenannten Franzoͤſiſchen Gartenkunſt, ſo finden wir hier eine dieſer natuͤrlichen voͤllig widerſprechende. Wie ſie alle Natur aus ihren Graͤnzen entfernt, eben ſo die Erinnerung an das Natuͤrliche, denn ſo wenig Getreide und Obſt ihren Platz hier finden, eben ſo wenig Baum-Parthien, die die Durchſicht decken, oder abwechſelnd reizende Gebuͤſche, und jene ſuͤße Schwaͤrmerei und muſikaliſche Empfindung ver- ſchlungener Haine und mahleriſcher Anſichten. Alles dient hier einer Empfindung, die ich am liebſten im Gegenſatz jener muſikaliſch ſchwaͤr- meriſchen Gefuͤhle eine pathetiſche Entzuͤckung nennen moͤchte, alles erhebt die Seele zur Be- geiſterung, alles iſt klar und unverworren; gleich vom erſten Eintritt fuͤhle und uͤberſehe ich den Plan des Ganzen, und aus jedem Punkte finde ich mich unmittelbar in den Mittelpunkt der großartigen Compoſition zuruͤck. Dazu dienen die großen freien Plaͤtze, die geraden Baumgaͤnge, die bedeckten und verflochtenen Lauben. Sta- tuen und Waſſerkuͤnſte verhalten ſich zu dieſem Garten ſo, wie gegenuͤber Saatfelder und Weinberge, ſie wollen recht beſtimmt das Ge- bildete ausſprechen und darſtellen, und wie man den Park mit Unrecht die Nachahmung einer ge- mahlten Landſchaft nennen wuͤrde, da der Gaͤrt- ner und Mahler vielmehr aus einer gemein-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/154>, abgerufen am 24.11.2024.