Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Der blonde Eckbert.
hielt ich es für wilde Thiere, bald für den Wind,
der durch die Felsen klage, bald für fremde Vögel.
Ich betete, und schlief nur spät gegen Morgen ein.

Ich erwachte, als mir der Tag ins Gesicht
schien. Vor mir war ein steiler Felsen, ich klet-
terte in der Hoffnung hinauf, von dort den Aus-
gang aus der Wildniß zu entdecken, und vielleicht
Wohnungen oder Menschen gewahr zu werden.
Als ich aber oben stand, war alles, so weit nur
mein Auge reichte, eben so, wie um mich her, alles
war mit einem neblichten Dufte überzogen, der
Tag war grau und trübe, und keinen Baum, keine
Wiese, selbst kein Gebüsch konnte mein Auge ent-
decken, einzelne Sträucher ausgenommen, die ein-
sam und betrübt in engen Felsenritzen empor geschos-
sen waren. Es ist unbeschreiblich, welche Sehn-
sucht ich empfand, nur eines Menschen ansichtig
zu werden, wäre es auch, daß ich mich vor ihm
hätte fürchten müssen. Zugleich empfand ich einen
peinigenden Hunger, ich setzte mich nieder und
beschloß zu sterben. Aber nach einiger Zeit trug
die Lust zu leben dennoch den Sieg davon, ich
raffte mich auf und ging unter Thränen, unter
abgebrochenen Seufzern den ganzen Tag hindurch;
am Ende war ich mir meiner kaum noch bewußt,
ich war müde und erschöpft, ich wünschte kaum
noch zu leben, und fürchtete doch den Tod.

Gegen Abend schien die Gegend umher etwas
freundlicher zu werden, meine Gedanken, meine
Wünsche lebten wieder auf, die Lust zum Leben
erwachte in allen meinen Adern. Ich glaubte jetzt

Der blonde Eckbert.
hielt ich es fuͤr wilde Thiere, bald fuͤr den Wind,
der durch die Felſen klage, bald fuͤr fremde Voͤgel.
Ich betete, und ſchlief nur ſpaͤt gegen Morgen ein.

Ich erwachte, als mir der Tag ins Geſicht
ſchien. Vor mir war ein ſteiler Felſen, ich klet-
terte in der Hoffnung hinauf, von dort den Aus-
gang aus der Wildniß zu entdecken, und vielleicht
Wohnungen oder Menſchen gewahr zu werden.
Als ich aber oben ſtand, war alles, ſo weit nur
mein Auge reichte, eben ſo, wie um mich her, alles
war mit einem neblichten Dufte uͤberzogen, der
Tag war grau und truͤbe, und keinen Baum, keine
Wieſe, ſelbſt kein Gebuͤſch konnte mein Auge ent-
decken, einzelne Straͤucher ausgenommen, die ein-
ſam und betruͤbt in engen Felſenritzen empor geſchoſ-
ſen waren. Es iſt unbeſchreiblich, welche Sehn-
ſucht ich empfand, nur eines Menſchen anſichtig
zu werden, waͤre es auch, daß ich mich vor ihm
haͤtte fuͤrchten muͤſſen. Zugleich empfand ich einen
peinigenden Hunger, ich ſetzte mich nieder und
beſchloß zu ſterben. Aber nach einiger Zeit trug
die Luſt zu leben dennoch den Sieg davon, ich
raffte mich auf und ging unter Thraͤnen, unter
abgebrochenen Seufzern den ganzen Tag hindurch;
am Ende war ich mir meiner kaum noch bewußt,
ich war muͤde und erſchoͤpft, ich wuͤnſchte kaum
noch zu leben, und fuͤrchtete doch den Tod.

Gegen Abend ſchien die Gegend umher etwas
freundlicher zu werden, meine Gedanken, meine
Wuͤnſche lebten wieder auf, die Luſt zum Leben
erwachte in allen meinen Adern. Ich glaubte jetzt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0182" n="171"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der blonde Eckbert</hi>.</fw><lb/>
hielt ich es fu&#x0364;r wilde Thiere, bald fu&#x0364;r den Wind,<lb/>
der durch die Fel&#x017F;en klage, bald fu&#x0364;r fremde Vo&#x0364;gel.<lb/>
Ich betete, und &#x017F;chlief nur &#x017F;pa&#x0364;t gegen Morgen ein.</p><lb/>
          <p>Ich erwachte, als mir der Tag ins Ge&#x017F;icht<lb/>
&#x017F;chien. Vor mir war ein &#x017F;teiler Fel&#x017F;en, ich klet-<lb/>
terte in der Hoffnung hinauf, von dort den Aus-<lb/>
gang aus der Wildniß zu entdecken, und vielleicht<lb/>
Wohnungen oder Men&#x017F;chen gewahr zu werden.<lb/>
Als ich aber oben &#x017F;tand, war alles, &#x017F;o weit nur<lb/>
mein Auge reichte, eben &#x017F;o, wie um mich her, alles<lb/>
war mit einem neblichten Dufte u&#x0364;berzogen, der<lb/>
Tag war grau und tru&#x0364;be, und keinen Baum, keine<lb/>
Wie&#x017F;e, &#x017F;elb&#x017F;t kein Gebu&#x0364;&#x017F;ch konnte mein Auge ent-<lb/>
decken, einzelne Stra&#x0364;ucher ausgenommen, die ein-<lb/>
&#x017F;am und betru&#x0364;bt in engen Fel&#x017F;enritzen empor ge&#x017F;cho&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en waren. Es i&#x017F;t unbe&#x017F;chreiblich, welche Sehn-<lb/>
&#x017F;ucht ich empfand, nur eines Men&#x017F;chen an&#x017F;ichtig<lb/>
zu werden, wa&#x0364;re es auch, daß ich mich vor ihm<lb/>
ha&#x0364;tte fu&#x0364;rchten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Zugleich empfand ich einen<lb/>
peinigenden Hunger, ich &#x017F;etzte mich nieder und<lb/>
be&#x017F;chloß zu &#x017F;terben. Aber nach einiger Zeit trug<lb/>
die Lu&#x017F;t zu leben dennoch den Sieg davon, ich<lb/>
raffte mich auf und ging unter Thra&#x0364;nen, unter<lb/>
abgebrochenen Seufzern den ganzen Tag hindurch;<lb/>
am Ende war ich mir meiner kaum noch bewußt,<lb/>
ich war mu&#x0364;de und er&#x017F;cho&#x0364;pft, ich wu&#x0364;n&#x017F;chte kaum<lb/>
noch zu leben, und fu&#x0364;rchtete doch den Tod.</p><lb/>
          <p>Gegen Abend &#x017F;chien die Gegend umher etwas<lb/>
freundlicher zu werden, meine Gedanken, meine<lb/>
Wu&#x0364;n&#x017F;che lebten wieder auf, die Lu&#x017F;t zum Leben<lb/>
erwachte in allen meinen Adern. Ich glaubte jetzt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0182] Der blonde Eckbert. hielt ich es fuͤr wilde Thiere, bald fuͤr den Wind, der durch die Felſen klage, bald fuͤr fremde Voͤgel. Ich betete, und ſchlief nur ſpaͤt gegen Morgen ein. Ich erwachte, als mir der Tag ins Geſicht ſchien. Vor mir war ein ſteiler Felſen, ich klet- terte in der Hoffnung hinauf, von dort den Aus- gang aus der Wildniß zu entdecken, und vielleicht Wohnungen oder Menſchen gewahr zu werden. Als ich aber oben ſtand, war alles, ſo weit nur mein Auge reichte, eben ſo, wie um mich her, alles war mit einem neblichten Dufte uͤberzogen, der Tag war grau und truͤbe, und keinen Baum, keine Wieſe, ſelbſt kein Gebuͤſch konnte mein Auge ent- decken, einzelne Straͤucher ausgenommen, die ein- ſam und betruͤbt in engen Felſenritzen empor geſchoſ- ſen waren. Es iſt unbeſchreiblich, welche Sehn- ſucht ich empfand, nur eines Menſchen anſichtig zu werden, waͤre es auch, daß ich mich vor ihm haͤtte fuͤrchten muͤſſen. Zugleich empfand ich einen peinigenden Hunger, ich ſetzte mich nieder und beſchloß zu ſterben. Aber nach einiger Zeit trug die Luſt zu leben dennoch den Sieg davon, ich raffte mich auf und ging unter Thraͤnen, unter abgebrochenen Seufzern den ganzen Tag hindurch; am Ende war ich mir meiner kaum noch bewußt, ich war muͤde und erſchoͤpft, ich wuͤnſchte kaum noch zu leben, und fuͤrchtete doch den Tod. Gegen Abend ſchien die Gegend umher etwas freundlicher zu werden, meine Gedanken, meine Wuͤnſche lebten wieder auf, die Luſt zum Leben erwachte in allen meinen Adern. Ich glaubte jetzt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/182
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/182>, abgerufen am 21.11.2024.