Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Der getreue Eckart. sich wie ein Dunst, es wallte und wogte, und diebekannte Bildung meiner Mutter zog sich sichtbar- lich zusammen, die nach mir mit ernsten Mienen schaute. Ich wollte fort, ich konnte nicht, denn die mütterliche Gestalt winkte und mein Vater hielt mich fest in den Armen, welcher mir leise zuflüsterte: sie ist aus Gram um mich gestorben. Ich umfaßte ihn mit aller kindlichen Brünstigkeit, ich vergoß brennende Thränen an seiner Brust. Er küßte mich, und mir schauderte, als seine Lip- pen kalt wie die Lippen eines Todten mich berühr- ten. Wie ist dir, Vater? rief ich mit Entsetzen aus. Er zuckte schmerzhaft in sich zusammen und antwortete nicht. In wenigen Augenblicken fühlte ich ihn kälter werden, ich suchte nach seinem Her- zen, es stand still, und im wehmüthigen Wahn- sinn hielt ich die Leiche in meiner Umarmung fest eingeklammert. Wie ein Schein, gleich der ersten Morgenrö- Bis hieher war der Tannenhäuser mit seiner Der getreue Eckart. ſich wie ein Dunſt, es wallte und wogte, und diebekannte Bildung meiner Mutter zog ſich ſichtbar- lich zuſammen, die nach mir mit ernſten Mienen ſchaute. Ich wollte fort, ich konnte nicht, denn die muͤtterliche Geſtalt winkte und mein Vater hielt mich feſt in den Armen, welcher mir leiſe zufluͤſterte: ſie iſt aus Gram um mich geſtorben. Ich umfaßte ihn mit aller kindlichen Bruͤnſtigkeit, ich vergoß brennende Thraͤnen an ſeiner Bruſt. Er kuͤßte mich, und mir ſchauderte, als ſeine Lip- pen kalt wie die Lippen eines Todten mich beruͤhr- ten. Wie iſt dir, Vater? rief ich mit Entſetzen aus. Er zuckte ſchmerzhaft in ſich zuſammen und antwortete nicht. In wenigen Augenblicken fuͤhlte ich ihn kaͤlter werden, ich ſuchte nach ſeinem Her- zen, es ſtand ſtill, und im wehmuͤthigen Wahn- ſinn hielt ich die Leiche in meiner Umarmung feſt eingeklammert. Wie ein Schein, gleich der erſten Morgenroͤ- Bis hieher war der Tannenhaͤuſer mit ſeiner <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0242" n="231"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der getreue Eckart</hi>.</fw><lb/> ſich wie ein Dunſt, es wallte und wogte, und die<lb/> bekannte Bildung meiner Mutter zog ſich ſichtbar-<lb/> lich zuſammen, die nach mir mit ernſten Mienen<lb/> ſchaute. Ich wollte fort, ich konnte nicht, denn<lb/> die muͤtterliche Geſtalt winkte und mein Vater<lb/> hielt mich feſt in den Armen, welcher mir leiſe<lb/> zufluͤſterte: ſie iſt aus Gram um mich geſtorben.<lb/> Ich umfaßte ihn mit aller kindlichen Bruͤnſtigkeit,<lb/> ich vergoß brennende Thraͤnen an ſeiner Bruſt.<lb/> Er kuͤßte mich, und mir ſchauderte, als ſeine Lip-<lb/> pen kalt wie die Lippen eines Todten mich beruͤhr-<lb/> ten. Wie iſt dir, Vater? rief ich mit Entſetzen<lb/> aus. Er zuckte ſchmerzhaft in ſich zuſammen und<lb/> antwortete nicht. In wenigen Augenblicken fuͤhlte<lb/> ich ihn kaͤlter werden, ich ſuchte nach ſeinem Her-<lb/> zen, es ſtand ſtill, und im wehmuͤthigen Wahn-<lb/> ſinn hielt ich die Leiche in meiner Umarmung feſt<lb/> eingeklammert.</p><lb/> <p>Wie ein Schein, gleich der erſten Morgenroͤ-<lb/> the, flog es durch das dunkle Gemach, da ſaß der<lb/> Geiſt meines Vaters neben dem Bilde meiner Mut-<lb/> ter, und beide ſahen nach mir mitleidig hin, wie ich<lb/> die theure Leiche feſthielt. Seitdem war es um<lb/> mein Bewußtſein geſchehn, wahnſinnig und kraft-<lb/> los fanden mich die Diener am Morgen in der<lb/> Todtenkammer.</p><lb/> <p>Bis hieher war der Tannenhaͤuſer mit ſeiner<lb/> Erzaͤhlung gekommen, indem ihm ſein Freund Frie-<lb/> drich mit dem groͤßten Erſtaunen zuhoͤrte, als er<lb/> ploͤtzlich abbrach und mit dem Ausdruck des groͤßten<lb/> Schmerzes inne hielt. Friedrich war verlegen und<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [231/0242]
Der getreue Eckart.
ſich wie ein Dunſt, es wallte und wogte, und die
bekannte Bildung meiner Mutter zog ſich ſichtbar-
lich zuſammen, die nach mir mit ernſten Mienen
ſchaute. Ich wollte fort, ich konnte nicht, denn
die muͤtterliche Geſtalt winkte und mein Vater
hielt mich feſt in den Armen, welcher mir leiſe
zufluͤſterte: ſie iſt aus Gram um mich geſtorben.
Ich umfaßte ihn mit aller kindlichen Bruͤnſtigkeit,
ich vergoß brennende Thraͤnen an ſeiner Bruſt.
Er kuͤßte mich, und mir ſchauderte, als ſeine Lip-
pen kalt wie die Lippen eines Todten mich beruͤhr-
ten. Wie iſt dir, Vater? rief ich mit Entſetzen
aus. Er zuckte ſchmerzhaft in ſich zuſammen und
antwortete nicht. In wenigen Augenblicken fuͤhlte
ich ihn kaͤlter werden, ich ſuchte nach ſeinem Her-
zen, es ſtand ſtill, und im wehmuͤthigen Wahn-
ſinn hielt ich die Leiche in meiner Umarmung feſt
eingeklammert.
Wie ein Schein, gleich der erſten Morgenroͤ-
the, flog es durch das dunkle Gemach, da ſaß der
Geiſt meines Vaters neben dem Bilde meiner Mut-
ter, und beide ſahen nach mir mitleidig hin, wie ich
die theure Leiche feſthielt. Seitdem war es um
mein Bewußtſein geſchehn, wahnſinnig und kraft-
los fanden mich die Diener am Morgen in der
Todtenkammer.
Bis hieher war der Tannenhaͤuſer mit ſeiner
Erzaͤhlung gekommen, indem ihm ſein Freund Frie-
drich mit dem groͤßten Erſtaunen zuhoͤrte, als er
ploͤtzlich abbrach und mit dem Ausdruck des groͤßten
Schmerzes inne hielt. Friedrich war verlegen und
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