Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Erste Abtheilung. schäftigung, und plötzlich erwachte in mir der be-stimmteste Trieb, das Gefühl, daß ich nun die für mich bestimmte Lebensweise gefunden habe. Tag und Nacht sann ich und stellte mir hohe Berge, Klüfte und Tannenwälder vor; meine Einbildung erschuf sich ungeheure Felsen, ich hörte in Gedan- ken das Getöse der Jagd, die Hörner, und das Geschrei der Hunde und des Wildes; alle meine Träume waren damit angefüllt und darüber hatte ich nun weder Rast noch Ruhe mehr. Die Ebene, das Schloß, der kleine beschränkte Garten meines Vaters mit den geordneten Blumenbeeten, die enge Wohnung, der weite Himmel, der sich ringsum so traurig ausdehnte, und keine Höhe, keinen er- habenen Berg umarmte, alles ward mir noch be- trübter und verhaßter. Es schien mir, als wenn alle Menschen um mich her in der bejammerns- würdigsten Unwissenheit lebten, und daß alle eben so denken und empfinden würden, wie ich, wenn ihnen dieses Gefühl ihres Elendes nur ein einziges mal in ihrer Seele aufginge. So trieb ich mich um, bis ich an einem Morgen den Entschluß faßte, das Haus meiner Eltern auf immer zu verlassen. Ich hatte in meinem Buche Nachrichten vom näch- sten großen Gebirge gefunden, Abbildungen einiger Gegenden, und darnach richtete ich meinen Weg ein. Es war im ersten Frühlinge und ich fühlte mich durchaus froh und leicht. Ich eilte, um nur recht bald das Ebene zu verlassen, und an einem Abende, sah ich in der Ferne die dunkeln Umrisse des Gebirges vor mir liegen. Ich konnte in der Erſte Abtheilung. ſchaͤftigung, und ploͤtzlich erwachte in mir der be-ſtimmteſte Trieb, das Gefuͤhl, daß ich nun die fuͤr mich beſtimmte Lebensweiſe gefunden habe. Tag und Nacht ſann ich und ſtellte mir hohe Berge, Kluͤfte und Tannenwaͤlder vor; meine Einbildung erſchuf ſich ungeheure Felſen, ich hoͤrte in Gedan- ken das Getoͤſe der Jagd, die Hoͤrner, und das Geſchrei der Hunde und des Wildes; alle meine Traͤume waren damit angefuͤllt und daruͤber hatte ich nun weder Raſt noch Ruhe mehr. Die Ebene, das Schloß, der kleine beſchraͤnkte Garten meines Vaters mit den geordneten Blumenbeeten, die enge Wohnung, der weite Himmel, der ſich ringsum ſo traurig ausdehnte, und keine Hoͤhe, keinen er- habenen Berg umarmte, alles ward mir noch be- truͤbter und verhaßter. Es ſchien mir, als wenn alle Menſchen um mich her in der bejammerns- wuͤrdigſten Unwiſſenheit lebten, und daß alle eben ſo denken und empfinden wuͤrden, wie ich, wenn ihnen dieſes Gefuͤhl ihres Elendes nur ein einziges mal in ihrer Seele aufginge. So trieb ich mich um, bis ich an einem Morgen den Entſchluß faßte, das Haus meiner Eltern auf immer zu verlaſſen. Ich hatte in meinem Buche Nachrichten vom naͤch- ſten großen Gebirge gefunden, Abbildungen einiger Gegenden, und darnach richtete ich meinen Weg ein. Es war im erſten Fruͤhlinge und ich fuͤhlte mich durchaus froh und leicht. Ich eilte, um nur recht bald das Ebene zu verlaſſen, und an einem Abende, ſah ich in der Ferne die dunkeln Umriſſe des Gebirges vor mir liegen. Ich konnte in der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0255" n="244"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/> ſchaͤftigung, und ploͤtzlich erwachte in mir der be-<lb/> ſtimmteſte Trieb, das Gefuͤhl, daß ich nun die fuͤr<lb/> mich beſtimmte Lebensweiſe gefunden habe. Tag<lb/> und Nacht ſann ich und ſtellte mir hohe Berge,<lb/> Kluͤfte und Tannenwaͤlder vor; meine Einbildung<lb/> erſchuf ſich ungeheure Felſen, ich hoͤrte in Gedan-<lb/> ken das Getoͤſe der Jagd, die Hoͤrner, und das<lb/> Geſchrei der Hunde und des Wildes; alle meine<lb/> Traͤume waren damit angefuͤllt und daruͤber hatte<lb/> ich nun weder Raſt noch Ruhe mehr. Die Ebene,<lb/> das Schloß, der kleine beſchraͤnkte Garten meines<lb/> Vaters mit den geordneten Blumenbeeten, die enge<lb/> Wohnung, der weite Himmel, der ſich ringsum<lb/> ſo traurig ausdehnte, und keine Hoͤhe, keinen er-<lb/> habenen Berg umarmte, alles ward mir noch be-<lb/> truͤbter und verhaßter. Es ſchien mir, als wenn<lb/> alle Menſchen um mich her in der bejammerns-<lb/> wuͤrdigſten Unwiſſenheit lebten, und daß alle eben<lb/> ſo denken und empfinden wuͤrden, wie ich, wenn<lb/> ihnen dieſes Gefuͤhl ihres Elendes nur ein einziges<lb/> mal in ihrer Seele aufginge. So trieb ich mich<lb/> um, bis ich an einem Morgen den Entſchluß faßte,<lb/> das Haus meiner Eltern auf immer zu verlaſſen.<lb/> Ich hatte in meinem Buche Nachrichten vom naͤch-<lb/> ſten großen Gebirge gefunden, Abbildungen einiger<lb/> Gegenden, und darnach richtete ich meinen Weg<lb/> ein. Es war im erſten Fruͤhlinge und ich fuͤhlte<lb/> mich durchaus froh und leicht. Ich eilte, um nur<lb/> recht bald das Ebene zu verlaſſen, und an einem<lb/> Abende, ſah ich in der Ferne die dunkeln Umriſſe<lb/> des Gebirges vor mir liegen. Ich konnte in der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [244/0255]
Erſte Abtheilung.
ſchaͤftigung, und ploͤtzlich erwachte in mir der be-
ſtimmteſte Trieb, das Gefuͤhl, daß ich nun die fuͤr
mich beſtimmte Lebensweiſe gefunden habe. Tag
und Nacht ſann ich und ſtellte mir hohe Berge,
Kluͤfte und Tannenwaͤlder vor; meine Einbildung
erſchuf ſich ungeheure Felſen, ich hoͤrte in Gedan-
ken das Getoͤſe der Jagd, die Hoͤrner, und das
Geſchrei der Hunde und des Wildes; alle meine
Traͤume waren damit angefuͤllt und daruͤber hatte
ich nun weder Raſt noch Ruhe mehr. Die Ebene,
das Schloß, der kleine beſchraͤnkte Garten meines
Vaters mit den geordneten Blumenbeeten, die enge
Wohnung, der weite Himmel, der ſich ringsum
ſo traurig ausdehnte, und keine Hoͤhe, keinen er-
habenen Berg umarmte, alles ward mir noch be-
truͤbter und verhaßter. Es ſchien mir, als wenn
alle Menſchen um mich her in der bejammerns-
wuͤrdigſten Unwiſſenheit lebten, und daß alle eben
ſo denken und empfinden wuͤrden, wie ich, wenn
ihnen dieſes Gefuͤhl ihres Elendes nur ein einziges
mal in ihrer Seele aufginge. So trieb ich mich
um, bis ich an einem Morgen den Entſchluß faßte,
das Haus meiner Eltern auf immer zu verlaſſen.
Ich hatte in meinem Buche Nachrichten vom naͤch-
ſten großen Gebirge gefunden, Abbildungen einiger
Gegenden, und darnach richtete ich meinen Weg
ein. Es war im erſten Fruͤhlinge und ich fuͤhlte
mich durchaus froh und leicht. Ich eilte, um nur
recht bald das Ebene zu verlaſſen, und an einem
Abende, ſah ich in der Ferne die dunkeln Umriſſe
des Gebirges vor mir liegen. Ich konnte in der
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