fällt: hier arbeitet die Zeit, anderswo die Nach- lässigkeit der Menschen, an vielen Orten der ver- achtende Leichtsinn, der ganze Gebäude nieder- reißt, oder sie verkauft, um alles Denkmal im- mer mehr dem Staube und der Vergessenheit zu überliefern; indeß, wenn der Sinn dafür nur um so mehr erwacht, um so mehr in der Wirk- lichkeit zu Grunde geht, so haben wir doch mehr gewonnen als verloren.
Ist diese Gegend nicht, durch welche wir wandeln, fing Theodor an, einem schönen roman- tischen Gedichte zu vergleichen? Erst wand sich der Weg labyrinthisch auf und ab durch den dich- ten Buchenwald, der nur augenblickliche räthsel- hafte Aussicht in die Landschaft erlaubte: so ist die erste Einleitung des Gedichtes; dann gerie- then wir an den blauen Fluß, der uns plötzlich überraschte und uns den Blick in das unvermu- thete frisch grüne Thal gönnte: so ist die plötz- liche Gegenwart einer innigen Liebe; dann die hohen Felsengruppen, die sich edel und majestä- tisch erhuben und höher bis zum Himmel wuch- sen, je weiter wir gingen: so treten in die alten Erzählungen erhabene Begebenheiten hinein, und lenken unsern Sinn von den Blumen ab; dann hatten wir den großen Blick auf ein weit aus- gebreitetes Thal, mit schwebenden Dörfern und Thürmen auf schön geformten Bergen in der Ferne, wir sahen Wälder, weidende Heerden, Hütten der Bergleute, aus denen wir das Ge-
Einleitung.
faͤllt: hier arbeitet die Zeit, anderswo die Nach- laͤſſigkeit der Menſchen, an vielen Orten der ver- achtende Leichtſinn, der ganze Gebaͤude nieder- reißt, oder ſie verkauft, um alles Denkmal im- mer mehr dem Staube und der Vergeſſenheit zu uͤberliefern; indeß, wenn der Sinn dafuͤr nur um ſo mehr erwacht, um ſo mehr in der Wirk- lichkeit zu Grunde geht, ſo haben wir doch mehr gewonnen als verloren.
Iſt dieſe Gegend nicht, durch welche wir wandeln, fing Theodor an, einem ſchoͤnen roman- tiſchen Gedichte zu vergleichen? Erſt wand ſich der Weg labyrinthiſch auf und ab durch den dich- ten Buchenwald, der nur augenblickliche raͤthſel- hafte Ausſicht in die Landſchaft erlaubte: ſo iſt die erſte Einleitung des Gedichtes; dann gerie- then wir an den blauen Fluß, der uns ploͤtzlich uͤberraſchte und uns den Blick in das unvermu- thete friſch gruͤne Thal goͤnnte: ſo iſt die ploͤtz- liche Gegenwart einer innigen Liebe; dann die hohen Felſengruppen, die ſich edel und majeſtaͤ- tiſch erhuben und hoͤher bis zum Himmel wuch- ſen, je weiter wir gingen: ſo treten in die alten Erzaͤhlungen erhabene Begebenheiten hinein, und lenken unſern Sinn von den Blumen ab; dann hatten wir den großen Blick auf ein weit aus- gebreitetes Thal, mit ſchwebenden Doͤrfern und Thuͤrmen auf ſchoͤn geformten Bergen in der Ferne, wir ſahen Waͤlder, weidende Heerden, Huͤtten der Bergleute, aus denen wir das Ge-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0026"n="15"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
faͤllt: hier arbeitet die Zeit, anderswo die Nach-<lb/>
laͤſſigkeit der Menſchen, an vielen Orten der ver-<lb/>
achtende Leichtſinn, der ganze Gebaͤude nieder-<lb/>
reißt, oder ſie verkauft, um alles Denkmal im-<lb/>
mer mehr dem Staube und der Vergeſſenheit zu<lb/>
uͤberliefern; indeß, wenn der Sinn dafuͤr nur<lb/>
um ſo mehr erwacht, um ſo mehr in der Wirk-<lb/>
lichkeit zu Grunde geht, ſo haben wir doch mehr<lb/>
gewonnen als verloren.</p><lb/><p>Iſt dieſe Gegend nicht, durch welche wir<lb/>
wandeln, fing Theodor an, einem ſchoͤnen roman-<lb/>
tiſchen Gedichte zu vergleichen? Erſt wand ſich<lb/>
der Weg labyrinthiſch auf und ab durch den dich-<lb/>
ten Buchenwald, der nur augenblickliche raͤthſel-<lb/>
hafte Ausſicht in die Landſchaft erlaubte: ſo iſt<lb/>
die erſte Einleitung des Gedichtes; dann gerie-<lb/>
then wir an den blauen Fluß, der uns ploͤtzlich<lb/>
uͤberraſchte und uns den Blick in das unvermu-<lb/>
thete friſch gruͤne Thal goͤnnte: ſo iſt die ploͤtz-<lb/>
liche Gegenwart einer innigen Liebe; dann die<lb/>
hohen Felſengruppen, die ſich edel und majeſtaͤ-<lb/>
tiſch erhuben und hoͤher bis zum Himmel wuch-<lb/>ſen, je weiter wir gingen: ſo treten in die alten<lb/>
Erzaͤhlungen erhabene Begebenheiten hinein, und<lb/>
lenken unſern Sinn von den Blumen ab; dann<lb/>
hatten wir den großen Blick auf ein weit aus-<lb/>
gebreitetes Thal, mit ſchwebenden Doͤrfern und<lb/>
Thuͤrmen auf ſchoͤn geformten Bergen in der<lb/>
Ferne, wir ſahen Waͤlder, weidende Heerden,<lb/>
Huͤtten der Bergleute, aus denen wir das Ge-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[15/0026]
Einleitung.
faͤllt: hier arbeitet die Zeit, anderswo die Nach-
laͤſſigkeit der Menſchen, an vielen Orten der ver-
achtende Leichtſinn, der ganze Gebaͤude nieder-
reißt, oder ſie verkauft, um alles Denkmal im-
mer mehr dem Staube und der Vergeſſenheit zu
uͤberliefern; indeß, wenn der Sinn dafuͤr nur
um ſo mehr erwacht, um ſo mehr in der Wirk-
lichkeit zu Grunde geht, ſo haben wir doch mehr
gewonnen als verloren.
Iſt dieſe Gegend nicht, durch welche wir
wandeln, fing Theodor an, einem ſchoͤnen roman-
tiſchen Gedichte zu vergleichen? Erſt wand ſich
der Weg labyrinthiſch auf und ab durch den dich-
ten Buchenwald, der nur augenblickliche raͤthſel-
hafte Ausſicht in die Landſchaft erlaubte: ſo iſt
die erſte Einleitung des Gedichtes; dann gerie-
then wir an den blauen Fluß, der uns ploͤtzlich
uͤberraſchte und uns den Blick in das unvermu-
thete friſch gruͤne Thal goͤnnte: ſo iſt die ploͤtz-
liche Gegenwart einer innigen Liebe; dann die
hohen Felſengruppen, die ſich edel und majeſtaͤ-
tiſch erhuben und hoͤher bis zum Himmel wuch-
ſen, je weiter wir gingen: ſo treten in die alten
Erzaͤhlungen erhabene Begebenheiten hinein, und
lenken unſern Sinn von den Blumen ab; dann
hatten wir den großen Blick auf ein weit aus-
gebreitetes Thal, mit ſchwebenden Doͤrfern und
Thuͤrmen auf ſchoͤn geformten Bergen in der
Ferne, wir ſahen Waͤlder, weidende Heerden,
Huͤtten der Bergleute, aus denen wir das Ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/26>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.