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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
empfing, so will es sie dann wieder quälend und rin-
gend zum äußern Gefühl hinaus arbeiten, um ihrer
los und ruhig zu werden.

Ein unglückliches Gestirn war es, sprach der
Alte, das dich von uns hinweg zog; du warst für
ein stilles Leben geboren, dein Sinn neigte sich
zur Ruhe und zu den Pflanzen, da führte dich
deine Ungeduld hinweg, in die Gesellschaft der ver-
wilderten Steine: die Felsen, die zerrissenen Klip-
pen mit ihren schroffen Gestalten haben dein Ge-
müth zerrüttet, und den verwüstenden Hunger nach
dem Metall in dich gepflanzt. Immer hättest du
dich vor dem Anblick des Gebirges hüten und
bewahren müssen, und so dachte ich dich auch zu
erziehen, aber es hat nicht seyn sollen. Deine De-
muth, deine Ruhe, dein kindlicher Sinn ist von
Trotz, Wildheit und Uebermuth verschüttet.

Nein, sagte der Sohn, ich erinnere mich ganz
deutlich, daß mir eine Pflanze zuerst das Unglück
der ganzen Erde bekannt gemacht hat, seitdem ver-
stehe ich erst die Seufzer und Klagen, die allent-
halben in der ganzen Natur vernehmbar sind, wenn
man nur darauf hören will; in den Pflanzen, Kräu-
tern, Blumen und Bäumen regt und bewegt sich
schmerzhaft nur eine große Wunde, sie sind der
Leichnam vormaliger herrlicher Steinwelten, sie bie-
ten unserm Auge die schrecklichste Verwesung dar.
Jetzt verstehe ich es wohl, daß es dies war, was
mir jene Wurzel mit ihrem tiefgeholten Aechzen
sagen wollte, sie vergaß sich in ihrem Schmerze
und verrieth mir alles. Darum sind alle grünen

Erſte Abtheilung.
empfing, ſo will es ſie dann wieder quaͤlend und rin-
gend zum aͤußern Gefuͤhl hinaus arbeiten, um ihrer
los und ruhig zu werden.

Ein ungluͤckliches Geſtirn war es, ſprach der
Alte, das dich von uns hinweg zog; du warſt fuͤr
ein ſtilles Leben geboren, dein Sinn neigte ſich
zur Ruhe und zu den Pflanzen, da fuͤhrte dich
deine Ungeduld hinweg, in die Geſellſchaft der ver-
wilderten Steine: die Felſen, die zerriſſenen Klip-
pen mit ihren ſchroffen Geſtalten haben dein Ge-
muͤth zerruͤttet, und den verwuͤſtenden Hunger nach
dem Metall in dich gepflanzt. Immer haͤtteſt du
dich vor dem Anblick des Gebirges huͤten und
bewahren muͤſſen, und ſo dachte ich dich auch zu
erziehen, aber es hat nicht ſeyn ſollen. Deine De-
muth, deine Ruhe, dein kindlicher Sinn iſt von
Trotz, Wildheit und Uebermuth verſchuͤttet.

Nein, ſagte der Sohn, ich erinnere mich ganz
deutlich, daß mir eine Pflanze zuerſt das Ungluͤck
der ganzen Erde bekannt gemacht hat, ſeitdem ver-
ſtehe ich erſt die Seufzer und Klagen, die allent-
halben in der ganzen Natur vernehmbar ſind, wenn
man nur darauf hoͤren will; in den Pflanzen, Kraͤu-
tern, Blumen und Baͤumen regt und bewegt ſich
ſchmerzhaft nur eine große Wunde, ſie ſind der
Leichnam vormaliger herrlicher Steinwelten, ſie bie-
ten unſerm Auge die ſchrecklichſte Verweſung dar.
Jetzt verſtehe ich es wohl, daß es dies war, was
mir jene Wurzel mit ihrem tiefgeholten Aechzen
ſagen wollte, ſie vergaß ſich in ihrem Schmerze
und verrieth mir alles. Darum ſind alle gruͤnen

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[264/0275] Erſte Abtheilung. empfing, ſo will es ſie dann wieder quaͤlend und rin- gend zum aͤußern Gefuͤhl hinaus arbeiten, um ihrer los und ruhig zu werden. Ein ungluͤckliches Geſtirn war es, ſprach der Alte, das dich von uns hinweg zog; du warſt fuͤr ein ſtilles Leben geboren, dein Sinn neigte ſich zur Ruhe und zu den Pflanzen, da fuͤhrte dich deine Ungeduld hinweg, in die Geſellſchaft der ver- wilderten Steine: die Felſen, die zerriſſenen Klip- pen mit ihren ſchroffen Geſtalten haben dein Ge- muͤth zerruͤttet, und den verwuͤſtenden Hunger nach dem Metall in dich gepflanzt. Immer haͤtteſt du dich vor dem Anblick des Gebirges huͤten und bewahren muͤſſen, und ſo dachte ich dich auch zu erziehen, aber es hat nicht ſeyn ſollen. Deine De- muth, deine Ruhe, dein kindlicher Sinn iſt von Trotz, Wildheit und Uebermuth verſchuͤttet. Nein, ſagte der Sohn, ich erinnere mich ganz deutlich, daß mir eine Pflanze zuerſt das Ungluͤck der ganzen Erde bekannt gemacht hat, ſeitdem ver- ſtehe ich erſt die Seufzer und Klagen, die allent- halben in der ganzen Natur vernehmbar ſind, wenn man nur darauf hoͤren will; in den Pflanzen, Kraͤu- tern, Blumen und Baͤumen regt und bewegt ſich ſchmerzhaft nur eine große Wunde, ſie ſind der Leichnam vormaliger herrlicher Steinwelten, ſie bie- ten unſerm Auge die ſchrecklichſte Verweſung dar. Jetzt verſtehe ich es wohl, daß es dies war, was mir jene Wurzel mit ihrem tiefgeholten Aechzen ſagen wollte, ſie vergaß ſich in ihrem Schmerze und verrieth mir alles. Darum ſind alle gruͤnen

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/275>, abgerufen am 22.11.2024.