dicht abgelöset, und wiederholt und vollendet es, wenn er uns immer wieder mit unsichtbarem Zauber umgiebt.
Sehn wir die Entwickelung der romanti- schen Verschlingung! rief Theodor; Wald und Fluß verschwinden links, unser Weg zieht sich rechts, und viele kleine Wasserfälle rauschen aus buschigen Hügeln hervor, und tanzen und jauch- zen wie muntre Nebenpersonen zur Wiese hinab, um jenem schluchzenden Bach zu widersprechen, und in Freude und Lust den glänzenden Strom aufzusuchen, den schon die Sonne wieder be- scheint, und der so lächelnd zu ihnen herüber winkt.
Sieh doch, rief Ernst, wenn mein geübtes Auge etwas weniger scharf wäre, so könnte ich mich überreden, dort stände unser Freund An- ton! aber seine Stellung ist matter und sein Gang schwankender.
Nein, rief Theodor, dein Auge ist nicht scharf genug, sonst würdest du keinen Augen- blick zweifeln, daß er es nicht selbst in eigner Person sein sollte! Sieh, wie er sich jetzt bückt, und mit der Hand Wasser schöpft, nun schüttelt er die Tropfen ab und dehnt sich; sieh, nur er allein kann nun mit solchem leutseligen Anstande die Nase in die Sonne halten, -- und sein Auge hat uns auch schon gefunden!
Die Freunde, die sich lange nicht gesehn hatten, und sich in schöner Einsamkeit so unver-
I. [ 2 ]
Einleitung.
dicht abgeloͤſet, und wiederholt und vollendet es, wenn er uns immer wieder mit unſichtbarem Zauber umgiebt.
Sehn wir die Entwickelung der romanti- ſchen Verſchlingung! rief Theodor; Wald und Fluß verſchwinden links, unſer Weg zieht ſich rechts, und viele kleine Waſſerfaͤlle rauſchen aus buſchigen Huͤgeln hervor, und tanzen und jauch- zen wie muntre Nebenperſonen zur Wieſe hinab, um jenem ſchluchzenden Bach zu widerſprechen, und in Freude und Luſt den glaͤnzenden Strom aufzuſuchen, den ſchon die Sonne wieder be- ſcheint, und der ſo laͤchelnd zu ihnen heruͤber winkt.
Sieh doch, rief Ernſt, wenn mein geuͤbtes Auge etwas weniger ſcharf waͤre, ſo koͤnnte ich mich uͤberreden, dort ſtaͤnde unſer Freund An- ton! aber ſeine Stellung iſt matter und ſein Gang ſchwankender.
Nein, rief Theodor, dein Auge iſt nicht ſcharf genug, ſonſt wuͤrdeſt du keinen Augen- blick zweifeln, daß er es nicht ſelbſt in eigner Perſon ſein ſollte! Sieh, wie er ſich jetzt buͤckt, und mit der Hand Waſſer ſchoͤpft, nun ſchuͤttelt er die Tropfen ab und dehnt ſich; ſieh, nur er allein kann nun mit ſolchem leutſeligen Anſtande die Naſe in die Sonne halten, — und ſein Auge hat uns auch ſchon gefunden!
Die Freunde, die ſich lange nicht geſehn hatten, und ſich in ſchoͤner Einſamkeit ſo unver-
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Einleitung.
dicht abgeloͤſet, und wiederholt und vollendet es,
wenn er uns immer wieder mit unſichtbarem
Zauber umgiebt.
Sehn wir die Entwickelung der romanti-
ſchen Verſchlingung! rief Theodor; Wald und
Fluß verſchwinden links, unſer Weg zieht ſich
rechts, und viele kleine Waſſerfaͤlle rauſchen aus
buſchigen Huͤgeln hervor, und tanzen und jauch-
zen wie muntre Nebenperſonen zur Wieſe hinab,
um jenem ſchluchzenden Bach zu widerſprechen,
und in Freude und Luſt den glaͤnzenden Strom
aufzuſuchen, den ſchon die Sonne wieder be-
ſcheint, und der ſo laͤchelnd zu ihnen heruͤber
winkt.
Sieh doch, rief Ernſt, wenn mein geuͤbtes
Auge etwas weniger ſcharf waͤre, ſo koͤnnte ich
mich uͤberreden, dort ſtaͤnde unſer Freund An-
ton! aber ſeine Stellung iſt matter und ſein
Gang ſchwankender.
Nein, rief Theodor, dein Auge iſt nicht
ſcharf genug, ſonſt wuͤrdeſt du keinen Augen-
blick zweifeln, daß er es nicht ſelbſt in eigner
Perſon ſein ſollte! Sieh, wie er ſich jetzt buͤckt,
und mit der Hand Waſſer ſchoͤpft, nun ſchuͤttelt
er die Tropfen ab und dehnt ſich; ſieh, nur er
allein kann nun mit ſolchem leutſeligen Anſtande
die Naſe in die Sonne halten, — und ſein Auge
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Die Freunde, die ſich lange nicht geſehn
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/28>, abgerufen am 21.11.2024.
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