heit nach nur so mitgenommen worden, weil ich eben weder etwas zu thun, noch zu versäumen hatte.
Ich besuche unsern Manfred, sagte Anton, der mich auf sein schönes Landgut, sieben Mei- len von hier, eingeladen hat, da er von meiner Krankheit und Genesung Nachricht bekommen.
Wohnt der jetzt in diesem Gebirge? fragte Ernst.
Ihr wißt also nicht, fuhr Anton fort, daß er schon seit mehr als zwei Jahren verheirathet ist und hier wohnt?
Manfred verheirathet? rief Theodor aus; er, der so viel gegen alle Ehe deklamirt, so über alle gepriesene Häuslichkeit gespottet hat, der es zu seiner Aufgabe zu machen schien, das Phan- tastische mit dem wirklichen Leben aufs innigste zu verbinden, der vor nichts solchen Abscheu äu- ßerte, als vor jener gesetzten, kaltblütig morali- schen Philisterei? Wie ist es möglich? Ei! der mag sich denn nun auch schön verändert haben! Gewiß hat ihn das Dreherchen der Zeit so um- gedreht, daß er nicht wieder zu erkennen ist.
Vielleicht, sagte Ernst, konnte es ihm gera- de am ersten gelingen, die Jugend beizubehal- ten, in welcher er sich scheinbar so wild beweg- te, denn sein Charakter neigte immer zum Ernst, und eben darum war sein Widerwille gegen den geheuchelten, läppischen Ernst unserer Tage oft so grotesk und bizarr: bei manchen Menschen
Einleitung.
heit nach nur ſo mitgenommen worden, weil ich eben weder etwas zu thun, noch zu verſaͤumen hatte.
Ich beſuche unſern Manfred, ſagte Anton, der mich auf ſein ſchoͤnes Landgut, ſieben Mei- len von hier, eingeladen hat, da er von meiner Krankheit und Geneſung Nachricht bekommen.
Wohnt der jetzt in dieſem Gebirge? fragte Ernſt.
Ihr wißt alſo nicht, fuhr Anton fort, daß er ſchon ſeit mehr als zwei Jahren verheirathet iſt und hier wohnt?
Manfred verheirathet? rief Theodor aus; er, der ſo viel gegen alle Ehe deklamirt, ſo uͤber alle geprieſene Haͤuslichkeit geſpottet hat, der es zu ſeiner Aufgabe zu machen ſchien, das Phan- taſtiſche mit dem wirklichen Leben aufs innigſte zu verbinden, der vor nichts ſolchen Abſcheu aͤu- ßerte, als vor jener geſetzten, kaltbluͤtig morali- ſchen Philiſterei? Wie iſt es moͤglich? Ei! der mag ſich denn nun auch ſchoͤn veraͤndert haben! Gewiß hat ihn das Dreherchen der Zeit ſo um- gedreht, daß er nicht wieder zu erkennen iſt.
Vielleicht, ſagte Ernſt, konnte es ihm gera- de am erſten gelingen, die Jugend beizubehal- ten, in welcher er ſich ſcheinbar ſo wild beweg- te, denn ſein Charakter neigte immer zum Ernſt, und eben darum war ſein Widerwille gegen den geheuchelten, laͤppiſchen Ernſt unſerer Tage oft ſo grotesk und bizarr: bei manchen Menſchen
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Einleitung.
heit nach nur ſo mitgenommen worden, weil ich
eben weder etwas zu thun, noch zu verſaͤumen
hatte.
Ich beſuche unſern Manfred, ſagte Anton,
der mich auf ſein ſchoͤnes Landgut, ſieben Mei-
len von hier, eingeladen hat, da er von meiner
Krankheit und Geneſung Nachricht bekommen.
Wohnt der jetzt in dieſem Gebirge? fragte
Ernſt.
Ihr wißt alſo nicht, fuhr Anton fort, daß
er ſchon ſeit mehr als zwei Jahren verheirathet
iſt und hier wohnt?
Manfred verheirathet? rief Theodor aus; er,
der ſo viel gegen alle Ehe deklamirt, ſo uͤber
alle geprieſene Haͤuslichkeit geſpottet hat, der es
zu ſeiner Aufgabe zu machen ſchien, das Phan-
taſtiſche mit dem wirklichen Leben aufs innigſte
zu verbinden, der vor nichts ſolchen Abſcheu aͤu-
ßerte, als vor jener geſetzten, kaltbluͤtig morali-
ſchen Philiſterei? Wie iſt es moͤglich? Ei! der
mag ſich denn nun auch ſchoͤn veraͤndert haben!
Gewiß hat ihn das Dreherchen der Zeit ſo um-
gedreht, daß er nicht wieder zu erkennen iſt.
Vielleicht, ſagte Ernſt, konnte es ihm gera-
de am erſten gelingen, die Jugend beizubehal-
ten, in welcher er ſich ſcheinbar ſo wild beweg-
te, denn ſein Charakter neigte immer zum Ernſt,
und eben darum war ſein Widerwille gegen den
geheuchelten, laͤppiſchen Ernſt unſerer Tage oft
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/30>, abgerufen am 21.11.2024.
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