men? Von dem Elend, welches große und kleine Tyrannen erschaffen? Hier könnt ihr euch nir- gend trösten und euch sagen: es ist nur erson- nen! die Kunstform beruhigt euer Gemüth nicht mit der Nothwendigkeit, ja ihr könnt oft in die- sem Jammer nicht einmal ein Schicksal sehn, son- dern nur das Blinde, Schreckliche, das was sagt: so ist es nun einmal! In dergleichen mährchen- haften Erfindungen aber kann ja dieses Elend der Welt nur wie von vielen muntern Farben gebrochen hineinspielen, und ich dachte, auch ein nicht starkes Auge müßte es auf diese Weise er- tragen können.
Und wenn du auch Recht hättest, sagte Clara, so bleibe ich doch unerbittlich!
Nun gut, sagte Manfred,
Sey ganz ein Weib und gieb Dich hin dem Triebe, der dich zügellos Ergreift und dahin oder dorthin reißt.
Wie macht ihr Zarten, Weichen, Sanftgestimm- ten, es aber nur in unsern Theatern? Ich habe mich oft verwundern müssen, daß eure Nerven die Abscheulichkeiten aushalten können, die wir doch fast täglich dorten sehen und hören müssen. Ich rede nicht von jenen verfehlten Tragödien, die, um erhaben zu seyn, das Oberste im Men- schen zu unterst kehren, denn über diese kann man lächeln und sich an ihnen unterhalten, im- mer wird doch irgend eine That, Begebenheit oder Schicksal dargestellt, welches mich beruhigt, auch
Erſte Abtheilung.
men? Von dem Elend, welches große und kleine Tyrannen erſchaffen? Hier koͤnnt ihr euch nir- gend troͤſten und euch ſagen: es iſt nur erſon- nen! die Kunſtform beruhigt euer Gemuͤth nicht mit der Nothwendigkeit, ja ihr koͤnnt oft in die- ſem Jammer nicht einmal ein Schickſal ſehn, ſon- dern nur das Blinde, Schreckliche, das was ſagt: ſo iſt es nun einmal! In dergleichen maͤhrchen- haften Erfindungen aber kann ja dieſes Elend der Welt nur wie von vielen muntern Farben gebrochen hineinſpielen, und ich dachte, auch ein nicht ſtarkes Auge muͤßte es auf dieſe Weiſe er- tragen koͤnnen.
Und wenn du auch Recht haͤtteſt, ſagte Clara, ſo bleibe ich doch unerbittlich!
Nun gut, ſagte Manfred,
Sey ganz ein Weib und gieb Dich hin dem Triebe, der dich zuͤgellos Ergreift und dahin oder dorthin reißt.
Wie macht ihr Zarten, Weichen, Sanftgeſtimm- ten, es aber nur in unſern Theatern? Ich habe mich oft verwundern muͤſſen, daß eure Nerven die Abſcheulichkeiten aushalten koͤnnen, die wir doch faſt taͤglich dorten ſehen und hoͤren muͤſſen. Ich rede nicht von jenen verfehlten Tragoͤdien, die, um erhaben zu ſeyn, das Oberſte im Men- ſchen zu unterſt kehren, denn uͤber dieſe kann man laͤcheln und ſich an ihnen unterhalten, im- mer wird doch irgend eine That, Begebenheit oder Schickſal dargeſtellt, welches mich beruhigt, auch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0330"n="319"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
men? Von dem Elend, welches große und kleine<lb/>
Tyrannen erſchaffen? Hier koͤnnt ihr euch nir-<lb/>
gend troͤſten und euch ſagen: es iſt nur erſon-<lb/>
nen! die Kunſtform beruhigt euer Gemuͤth nicht<lb/>
mit der Nothwendigkeit, ja ihr koͤnnt oft in die-<lb/>ſem Jammer nicht einmal ein Schickſal ſehn, ſon-<lb/>
dern nur das Blinde, Schreckliche, das was ſagt:<lb/>ſo iſt es nun einmal! In dergleichen maͤhrchen-<lb/>
haften Erfindungen aber kann ja dieſes Elend<lb/>
der Welt nur wie von vielen muntern Farben<lb/>
gebrochen hineinſpielen, und ich dachte, auch ein<lb/>
nicht ſtarkes Auge muͤßte es auf dieſe Weiſe er-<lb/>
tragen koͤnnen.</p><lb/><p>Und wenn du auch Recht haͤtteſt, ſagte Clara,<lb/>ſo bleibe ich doch unerbittlich!</p><lb/><p>Nun gut, ſagte Manfred,</p><lb/><lgtype="poem"><l>Sey ganz ein Weib und gieb</l><lb/><l>Dich hin dem Triebe, der dich zuͤgellos</l><lb/><l>Ergreift und dahin oder dorthin reißt.</l></lg><lb/><p>Wie macht ihr Zarten, Weichen, Sanftgeſtimm-<lb/>
ten, es aber nur in unſern Theatern? Ich habe<lb/>
mich oft verwundern muͤſſen, daß eure Nerven<lb/>
die Abſcheulichkeiten aushalten koͤnnen, die wir<lb/>
doch faſt taͤglich dorten ſehen und hoͤren muͤſſen.<lb/>
Ich rede nicht von jenen verfehlten Tragoͤdien,<lb/>
die, um erhaben zu ſeyn, das Oberſte im Men-<lb/>ſchen zu unterſt kehren, denn uͤber dieſe kann<lb/>
man laͤcheln und ſich an ihnen unterhalten, im-<lb/>
mer wird doch irgend eine That, Begebenheit oder<lb/>
Schickſal dargeſtellt, welches mich beruhigt, auch<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[319/0330]
Erſte Abtheilung.
men? Von dem Elend, welches große und kleine
Tyrannen erſchaffen? Hier koͤnnt ihr euch nir-
gend troͤſten und euch ſagen: es iſt nur erſon-
nen! die Kunſtform beruhigt euer Gemuͤth nicht
mit der Nothwendigkeit, ja ihr koͤnnt oft in die-
ſem Jammer nicht einmal ein Schickſal ſehn, ſon-
dern nur das Blinde, Schreckliche, das was ſagt:
ſo iſt es nun einmal! In dergleichen maͤhrchen-
haften Erfindungen aber kann ja dieſes Elend
der Welt nur wie von vielen muntern Farben
gebrochen hineinſpielen, und ich dachte, auch ein
nicht ſtarkes Auge muͤßte es auf dieſe Weiſe er-
tragen koͤnnen.
Und wenn du auch Recht haͤtteſt, ſagte Clara,
ſo bleibe ich doch unerbittlich!
Nun gut, ſagte Manfred,
Sey ganz ein Weib und gieb
Dich hin dem Triebe, der dich zuͤgellos
Ergreift und dahin oder dorthin reißt.
Wie macht ihr Zarten, Weichen, Sanftgeſtimm-
ten, es aber nur in unſern Theatern? Ich habe
mich oft verwundern muͤſſen, daß eure Nerven
die Abſcheulichkeiten aushalten koͤnnen, die wir
doch faſt taͤglich dorten ſehen und hoͤren muͤſſen.
Ich rede nicht von jenen verfehlten Tragoͤdien,
die, um erhaben zu ſeyn, das Oberſte im Men-
ſchen zu unterſt kehren, denn uͤber dieſe kann
man laͤcheln und ſich an ihnen unterhalten, im-
mer wird doch irgend eine That, Begebenheit oder
Schickſal dargeſtellt, welches mich beruhigt, auch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/330>, abgerufen am 15.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.