die Schönheit nur empfinden, oder gar lieben, wenn sie unverwüstlich wäre? Die süße Elegie in der Entzücknng, die Wehklage um den Adonis und Balder ist ja der schmachtende Seufzer, die wollüstige Thräne in der ganzen Natur! dem Flüchtigen nacheilen, es festhalten wollen, das uns selbst in festgeschlossenen Armen entrinnt, dies macht die Liebe, den geheimnißvollen Zau- ber, die Krankheit der Sehnsucht, das vergöt- ternde Schmachten möglich.
Und, fuhr Ernst fort, wie milde redet uns die Ewigkeit an mit ihrem majestätischen Ant- litz, wenn wir auch das nur als Schatten und Traum besitzen, oder uns ihm nähern können, was das Göttlichste dieser Erde ist? das muß ja unser Herz zum Unendlichen ermuntern und stärken, zur Tugend, zum Himmel, zu jener Schöne uns führen, die nie verblüht, deren Entzückung ewige Gegenwart ist.
Müßten wir nur nicht vorher aus dem Le- the trinken, sagte Anton, und zur Freude spre- chen: was willst du? und zum Lachen: du bist toll!
Theodor sprang vom Tische auf, umarmte jeden und schenkte von dem guten Rheinwein in die Römer: ei! rief er aus, daß wir wieder so beisammen sind! daß wir wieder einmal unsre zusammen gewickelten Gemüther durchklopfen und ausstäuben können, damit sich keine Motten und andres Gespinst in die Falten nisten! Wie wohl
Einleitung.
die Schoͤnheit nur empfinden, oder gar lieben, wenn ſie unverwuͤſtlich waͤre? Die ſuͤße Elegie in der Entzuͤcknng, die Wehklage um den Adonis und Balder iſt ja der ſchmachtende Seufzer, die wolluͤſtige Thraͤne in der ganzen Natur! dem Fluͤchtigen nacheilen, es feſthalten wollen, das uns ſelbſt in feſtgeſchloſſenen Armen entrinnt, dies macht die Liebe, den geheimnißvollen Zau- ber, die Krankheit der Sehnſucht, das vergoͤt- ternde Schmachten moͤglich.
Und, fuhr Ernſt fort, wie milde redet uns die Ewigkeit an mit ihrem majeſtaͤtiſchen Ant- litz, wenn wir auch das nur als Schatten und Traum beſitzen, oder uns ihm naͤhern koͤnnen, was das Goͤttlichſte dieſer Erde iſt? das muß ja unſer Herz zum Unendlichen ermuntern und ſtaͤrken, zur Tugend, zum Himmel, zu jener Schoͤne uns fuͤhren, die nie verbluͤht, deren Entzuͤckung ewige Gegenwart iſt.
Muͤßten wir nur nicht vorher aus dem Le- the trinken, ſagte Anton, und zur Freude ſpre- chen: was willſt du? und zum Lachen: du biſt toll!
Theodor ſprang vom Tiſche auf, umarmte jeden und ſchenkte von dem guten Rheinwein in die Roͤmer: ei! rief er aus, daß wir wieder ſo beiſammen ſind! daß wir wieder einmal unſre zuſammen gewickelten Gemuͤther durchklopfen und ausſtaͤuben koͤnnen, damit ſich keine Motten und andres Geſpinſt in die Falten niſten! Wie wohl
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Einleitung.
die Schoͤnheit nur empfinden, oder gar lieben,
wenn ſie unverwuͤſtlich waͤre? Die ſuͤße Elegie in
der Entzuͤcknng, die Wehklage um den Adonis
und Balder iſt ja der ſchmachtende Seufzer, die
wolluͤſtige Thraͤne in der ganzen Natur! dem
Fluͤchtigen nacheilen, es feſthalten wollen, das
uns ſelbſt in feſtgeſchloſſenen Armen entrinnt,
dies macht die Liebe, den geheimnißvollen Zau-
ber, die Krankheit der Sehnſucht, das vergoͤt-
ternde Schmachten moͤglich.
Und, fuhr Ernſt fort, wie milde redet uns
die Ewigkeit an mit ihrem majeſtaͤtiſchen Ant-
litz, wenn wir auch das nur als Schatten und
Traum beſitzen, oder uns ihm naͤhern koͤnnen,
was das Goͤttlichſte dieſer Erde iſt? das muß
ja unſer Herz zum Unendlichen ermuntern und
ſtaͤrken, zur Tugend, zum Himmel, zu jener Schoͤne
uns fuͤhren, die nie verbluͤht, deren Entzuͤckung
ewige Gegenwart iſt.
Muͤßten wir nur nicht vorher aus dem Le-
the trinken, ſagte Anton, und zur Freude ſpre-
chen: was willſt du? und zum Lachen: du biſt
toll!
Theodor ſprang vom Tiſche auf, umarmte
jeden und ſchenkte von dem guten Rheinwein in
die Roͤmer: ei! rief er aus, daß wir wieder ſo
beiſammen ſind! daß wir wieder einmal unſre
zuſammen gewickelten Gemuͤther durchklopfen und
ausſtaͤuben koͤnnen, damit ſich keine Motten und
andres Geſpinſt in die Falten niſten! Wie wohl
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/45>, abgerufen am 21.11.2024.
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