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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
und ich will sehn, ob sie mich nicht auf lange
für den ersten aller Dichter halten sollen.

Wir sind aber unserm Freunde Lothar eine
Vergütigung schuldig, sagte Clara, und da er
heute als Autor so wenig Glück gemacht hat,
so versuche er es einmal mit der Königswürde,
er übernehme die nächste Abtheilung und bestimme
sie nach seiner Willkühr.

Lothar verneigte sich, und nahm aus dem
Blumenkorbe eine Lilie, um sie als Scepter zu
gebrauchen. So befehle ich denn, sprach er, daß
wir diese Mährchenwelt noch nicht verlassen, nur
wollen wir den Dichtern die Mühe der Erfin-
dung schenken; mögen sie allgemein bekannte
Geschichten nehmen, wo möglich ganz kindische
und alberne, und damit den Versuch machen,
diesen durch ihre Darstellung ein neues Interesse
zu geben; jedes dieser Mährchen soll aber ein
Drama seyn.

Wilibald hustete und Auguste sagte: nur
bitten wir Mädchen, daß es auch hie und da
etwas lustig darinn zugehn möge, und nicht all-
zu poetisch.

Mir erlaube man auch eine Bitte, fügte
Emilie hinzu, und zwar diejenige, daß wir mit
der Zeit etwas ökonomischer umgehn und berech-
nen mögen, was sich vortragen und von den
Zuhörern erdulden läßt, denn heute haben wir
uns offenbar übersättigt, und der Genuß ist fast
zur Pein geworden; Sie müssen bedenken, daß

Erſte Abtheilung.
und ich will ſehn, ob ſie mich nicht auf lange
fuͤr den erſten aller Dichter halten ſollen.

Wir ſind aber unſerm Freunde Lothar eine
Verguͤtigung ſchuldig, ſagte Clara, und da er
heute als Autor ſo wenig Gluͤck gemacht hat,
ſo verſuche er es einmal mit der Koͤnigswuͤrde,
er uͤbernehme die naͤchſte Abtheilung und beſtimme
ſie nach ſeiner Willkuͤhr.

Lothar verneigte ſich, und nahm aus dem
Blumenkorbe eine Lilie, um ſie als Scepter zu
gebrauchen. So befehle ich denn, ſprach er, daß
wir dieſe Maͤhrchenwelt noch nicht verlaſſen, nur
wollen wir den Dichtern die Muͤhe der Erfin-
dung ſchenken; moͤgen ſie allgemein bekannte
Geſchichten nehmen, wo moͤglich ganz kindiſche
und alberne, und damit den Verſuch machen,
dieſen durch ihre Darſtellung ein neues Intereſſe
zu geben; jedes dieſer Maͤhrchen ſoll aber ein
Drama ſeyn.

Wilibald huſtete und Auguſte ſagte: nur
bitten wir Maͤdchen, daß es auch hie und da
etwas luſtig darinn zugehn moͤge, und nicht all-
zu poetiſch.

Mir erlaube man auch eine Bitte, fuͤgte
Emilie hinzu, und zwar diejenige, daß wir mit
der Zeit etwas oͤkonomiſcher umgehn und berech-
nen moͤgen, was ſich vortragen und von den
Zuhoͤrern erdulden laͤßt, denn heute haben wir
uns offenbar uͤberſaͤttigt, und der Genuß iſt faſt
zur Pein geworden; Sie muͤſſen bedenken, daß

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[457/0468] Erſte Abtheilung. und ich will ſehn, ob ſie mich nicht auf lange fuͤr den erſten aller Dichter halten ſollen. Wir ſind aber unſerm Freunde Lothar eine Verguͤtigung ſchuldig, ſagte Clara, und da er heute als Autor ſo wenig Gluͤck gemacht hat, ſo verſuche er es einmal mit der Koͤnigswuͤrde, er uͤbernehme die naͤchſte Abtheilung und beſtimme ſie nach ſeiner Willkuͤhr. Lothar verneigte ſich, und nahm aus dem Blumenkorbe eine Lilie, um ſie als Scepter zu gebrauchen. So befehle ich denn, ſprach er, daß wir dieſe Maͤhrchenwelt noch nicht verlaſſen, nur wollen wir den Dichtern die Muͤhe der Erfin- dung ſchenken; moͤgen ſie allgemein bekannte Geſchichten nehmen, wo moͤglich ganz kindiſche und alberne, und damit den Verſuch machen, dieſen durch ihre Darſtellung ein neues Intereſſe zu geben; jedes dieſer Maͤhrchen ſoll aber ein Drama ſeyn. Wilibald huſtete und Auguſte ſagte: nur bitten wir Maͤdchen, daß es auch hie und da etwas luſtig darinn zugehn moͤge, und nicht all- zu poetiſch. Mir erlaube man auch eine Bitte, fuͤgte Emilie hinzu, und zwar diejenige, daß wir mit der Zeit etwas oͤkonomiſcher umgehn und berech- nen moͤgen, was ſich vortragen und von den Zuhoͤrern erdulden laͤßt, denn heute haben wir uns offenbar uͤberſaͤttigt, und der Genuß iſt faſt zur Pein geworden; Sie muͤſſen bedenken, daß

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/468>, abgerufen am 22.11.2024.