schmack des Lieblichen selber hervor zu heben, wie durch den Firniß die Farben mancher Ge- mählde.
Darum, sagte Lothar, hat man in Frank- reich mit Recht etwas Wolf in manche Schä- fereien hinein gewünscht. Die reine Unschuld, als solche, verträgt keine Darstellung, denn sie liegt außer der Natur, oder falls sie natürlich ist, ist sie höchst unpoetisch; ich meine nemlich jene hohe, sentimentale, die uns die Dichter so oft haben mahlen wollen. Ich sah einmal eine französische Operette, zwar nur von einem, aber desto längeren Akte, in welcher ein junger Mensch von Anfang bis zu Ende nichts weiter in der Welt wollte, als seinen Papa lieben, den er be- kränzte, als er schlief, und Früchte vorsetzte, als er erwachte, worauf beide sich umarmten und gerührt waren. Ich will nicht sagen, daß der- gleichen nicht löblich seyn könnte; aber was in aller Welt ging es denn die Zuschauer an, die unten standen, und höchst überflüßige Zeugen dieser Zärtlichkeit waren?
Die Idyllen der Neueren, sagte Ernst, sind früh sentimental geworden, oder allegorisch, in der letzten Zeit bei Franzosen und Deutschen meist fade und süßlich. Zwei Gedichte eines Deutschen aber sind mir bekannt, die ich vielen der schön- sten Poesien an die Seite setzen möchte, den Sa- tyr Mopfus nemlich und Bacchidon und Milon vom Mahler Müller; die frische sinnliche Na-
Erſte Abtheilung.
ſchmack des Lieblichen ſelber hervor zu heben, wie durch den Firniß die Farben mancher Ge- maͤhlde.
Darum, ſagte Lothar, hat man in Frank- reich mit Recht etwas Wolf in manche Schaͤ- fereien hinein gewuͤnſcht. Die reine Unſchuld, als ſolche, vertraͤgt keine Darſtellung, denn ſie liegt außer der Natur, oder falls ſie natuͤrlich iſt, iſt ſie hoͤchſt unpoetiſch; ich meine nemlich jene hohe, ſentimentale, die uns die Dichter ſo oft haben mahlen wollen. Ich ſah einmal eine franzoͤſiſche Operette, zwar nur von einem, aber deſto laͤngeren Akte, in welcher ein junger Menſch von Anfang bis zu Ende nichts weiter in der Welt wollte, als ſeinen Papa lieben, den er be- kraͤnzte, als er ſchlief, und Fruͤchte vorſetzte, als er erwachte, worauf beide ſich umarmten und geruͤhrt waren. Ich will nicht ſagen, daß der- gleichen nicht loͤblich ſeyn koͤnnte; aber was in aller Welt ging es denn die Zuſchauer an, die unten ſtanden, und hoͤchſt uͤberfluͤßige Zeugen dieſer Zaͤrtlichkeit waren?
Die Idyllen der Neueren, ſagte Ernſt, ſind fruͤh ſentimental geworden, oder allegoriſch, in der letzten Zeit bei Franzoſen und Deutſchen meiſt fade und ſuͤßlich. Zwei Gedichte eines Deutſchen aber ſind mir bekannt, die ich vielen der ſchoͤn- ſten Poeſien an die Seite ſetzen moͤchte, den Sa- tyr Mopfus nemlich und Bacchidon und Milon vom Mahler Muͤller; die friſche ſinnliche Na-
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Erſte Abtheilung.
ſchmack des Lieblichen ſelber hervor zu heben,
wie durch den Firniß die Farben mancher Ge-
maͤhlde.
Darum, ſagte Lothar, hat man in Frank-
reich mit Recht etwas Wolf in manche Schaͤ-
fereien hinein gewuͤnſcht. Die reine Unſchuld,
als ſolche, vertraͤgt keine Darſtellung, denn ſie
liegt außer der Natur, oder falls ſie natuͤrlich
iſt, iſt ſie hoͤchſt unpoetiſch; ich meine nemlich
jene hohe, ſentimentale, die uns die Dichter ſo
oft haben mahlen wollen. Ich ſah einmal eine
franzoͤſiſche Operette, zwar nur von einem, aber
deſto laͤngeren Akte, in welcher ein junger Menſch
von Anfang bis zu Ende nichts weiter in der
Welt wollte, als ſeinen Papa lieben, den er be-
kraͤnzte, als er ſchlief, und Fruͤchte vorſetzte, als
er erwachte, worauf beide ſich umarmten und
geruͤhrt waren. Ich will nicht ſagen, daß der-
gleichen nicht loͤblich ſeyn koͤnnte; aber was in
aller Welt ging es denn die Zuſchauer an, die
unten ſtanden, und hoͤchſt uͤberfluͤßige Zeugen
dieſer Zaͤrtlichkeit waren?
Die Idyllen der Neueren, ſagte Ernſt, ſind
fruͤh ſentimental geworden, oder allegoriſch, in
der letzten Zeit bei Franzoſen und Deutſchen meiſt
fade und ſuͤßlich. Zwei Gedichte eines Deutſchen
aber ſind mir bekannt, die ich vielen der ſchoͤn-
ſten Poeſien an die Seite ſetzen moͤchte, den Sa-
tyr Mopfus nemlich und Bacchidon und Milon
vom Mahler Muͤller; die friſche ſinnliche Na-
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/470>, abgerufen am 22.11.2024.
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