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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.
zu lange spannt, erregt es wahre Uebelkeit, fast
Ohnmacht.

Sehr wahr, sagte Rosalie, und die Herren
sollten das nur bedenken, die uns Frauen fast
immer warten lassen, wenn sie eine Jagd, einen
Spatzierritt, oder ein sogenanntes Geschäft vor-
haben.

Lassen denn die Damen nicht eben so oft
auf sich warten, erwiederte Wilibald, und wohl
länger, wenn sie mit ihrem Anzug nicht einig
oder fertig werden können? Da überdies die
meisten niemals wissen, wie viel es an der Uhr
ist, ja daß es überhaupt eine Zeitabtheilung
giebt.

Recht! sagte Manfred; neulich wollten sie
einen Besuch in der Nachbarschaft machen, noch
vorher eine Oper durchsingen, und ein wenig
spatzieren gehen, um dabei zugleich das kranke
Kind im Dorfe zu besuchen, dann wollte man
bei Zeiten wieder zu Hause sein und etwas frü-
her essen als gewöhnlich, weil wir den Nach-
mittag einmal recht genießen wollten; als man
aber, um doch anzufangen, nach der Uhr sah,
fand sichs, daß es gerade nur noch eine halbe
Stunde bis zur gewöhnlichen Tischzeit war, und
die lieben Zeitlosen kaum noch Zeit sich umzu-
kleiden hatten.

Doch bitt' ich mich auszunehmen, sagte Ro-
salie, tadelst du mich doch sonst immer, daß ich
zu pünktlich, zu sehr nach der Stunde bin, sonst

Einleitung.
zu lange ſpannt, erregt es wahre Uebelkeit, faſt
Ohnmacht.

Sehr wahr, ſagte Roſalie, und die Herren
ſollten das nur bedenken, die uns Frauen faſt
immer warten laſſen, wenn ſie eine Jagd, einen
Spatzierritt, oder ein ſogenanntes Geſchaͤft vor-
haben.

Laſſen denn die Damen nicht eben ſo oft
auf ſich warten, erwiederte Wilibald, und wohl
laͤnger, wenn ſie mit ihrem Anzug nicht einig
oder fertig werden koͤnnen? Da uͤberdies die
meiſten niemals wiſſen, wie viel es an der Uhr
iſt, ja daß es uͤberhaupt eine Zeitabtheilung
giebt.

Recht! ſagte Manfred; neulich wollten ſie
einen Beſuch in der Nachbarſchaft machen, noch
vorher eine Oper durchſingen, und ein wenig
ſpatzieren gehen, um dabei zugleich das kranke
Kind im Dorfe zu beſuchen, dann wollte man
bei Zeiten wieder zu Hauſe ſein und etwas fruͤ-
her eſſen als gewoͤhnlich, weil wir den Nach-
mittag einmal recht genießen wollten; als man
aber, um doch anzufangen, nach der Uhr ſah,
fand ſichs, daß es gerade nur noch eine halbe
Stunde bis zur gewoͤhnlichen Tiſchzeit war, und
die lieben Zeitloſen kaum noch Zeit ſich umzu-
kleiden hatten.

Doch bitt' ich mich auszunehmen, ſagte Ro-
ſalie, tadelſt du mich doch ſonſt immer, daß ich
zu puͤnktlich, zu ſehr nach der Stunde bin, ſonſt

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[67/0078] Einleitung. zu lange ſpannt, erregt es wahre Uebelkeit, faſt Ohnmacht. Sehr wahr, ſagte Roſalie, und die Herren ſollten das nur bedenken, die uns Frauen faſt immer warten laſſen, wenn ſie eine Jagd, einen Spatzierritt, oder ein ſogenanntes Geſchaͤft vor- haben. Laſſen denn die Damen nicht eben ſo oft auf ſich warten, erwiederte Wilibald, und wohl laͤnger, wenn ſie mit ihrem Anzug nicht einig oder fertig werden koͤnnen? Da uͤberdies die meiſten niemals wiſſen, wie viel es an der Uhr iſt, ja daß es uͤberhaupt eine Zeitabtheilung giebt. Recht! ſagte Manfred; neulich wollten ſie einen Beſuch in der Nachbarſchaft machen, noch vorher eine Oper durchſingen, und ein wenig ſpatzieren gehen, um dabei zugleich das kranke Kind im Dorfe zu beſuchen, dann wollte man bei Zeiten wieder zu Hauſe ſein und etwas fruͤ- her eſſen als gewoͤhnlich, weil wir den Nach- mittag einmal recht genießen wollten; als man aber, um doch anzufangen, nach der Uhr ſah, fand ſichs, daß es gerade nur noch eine halbe Stunde bis zur gewoͤhnlichen Tiſchzeit war, und die lieben Zeitloſen kaum noch Zeit ſich umzu- kleiden hatten. Doch bitt' ich mich auszunehmen, ſagte Ro- ſalie, tadelſt du mich doch ſonſt immer, daß ich zu puͤnktlich, zu ſehr nach der Stunde bin, ſonſt

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/78>, abgerufen am 21.11.2024.