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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.
sehr gut vergleichen lassen, fällt in die Augen;
eben so ausgemacht ist es für den denkenden
und höheren Esser (ich ignorire jene gemeinere
Naturen, die an allem zweifeln, und etwa in
materieller Dumpfheit meinen können, das Es-
sen geschehe nur, um den Hunger zu vertreiben),
daß eine gewisse allgemeine Empfindung ausge-
sprochen werden soll, der in der ganzen Compo-
sition der Tafel nichts widersprechen darf, sei
es von Seiten der Speisen, der Weine, oder
der Gespräche, denn aus allem soll sich eine
romantische Composition entwickeln, die mich
unterhält, befriedigt und ergötzt, ohne meine Neu-
gier und Theilnahme zu heftig zu spannen, ohne
mich zu täuschen, oder mir bittre Rückerinn-
rungen zu lassen. Die epigrammatischen Ge-
richte zum Beispiel, die manchmal zur Täuschung
aufgetragen werden, sind gerade zu abgeschmackt
zu nennen.

Im nördlichen Deutschland, sagte Ernst,
sah ich einmal Zuckergebacknes als Torf auf-
setzen, und es gefiel den Gästen sehr.

O ihr unkünstlich Speisenden! rief Lothar
aus; warum laßt ihr euch den Marzipan nicht
lieber als die Physiognomien eurer Gegner backen,
und zerschneidet und verzehrt sie mit Wohlge-
fallen und Herzenswuth? dürften nicht Rezen-
senten, oder sonst verhaßte Menschen, gleich so
auf den Märkten zum Verkauf ausgeboten werden?

Von höchst abentheuerlichen Festen, sagte

Einleitung.
ſehr gut vergleichen laſſen, faͤllt in die Augen;
eben ſo ausgemacht iſt es fuͤr den denkenden
und hoͤheren Eſſer (ich ignorire jene gemeinere
Naturen, die an allem zweifeln, und etwa in
materieller Dumpfheit meinen koͤnnen, das Eſ-
ſen geſchehe nur, um den Hunger zu vertreiben),
daß eine gewiſſe allgemeine Empfindung ausge-
ſprochen werden ſoll, der in der ganzen Compo-
ſition der Tafel nichts widerſprechen darf, ſei
es von Seiten der Speiſen, der Weine, oder
der Geſpraͤche, denn aus allem ſoll ſich eine
romantiſche Compoſition entwickeln, die mich
unterhaͤlt, befriedigt und ergoͤtzt, ohne meine Neu-
gier und Theilnahme zu heftig zu ſpannen, ohne
mich zu taͤuſchen, oder mir bittre Ruͤckerinn-
rungen zu laſſen. Die epigrammatiſchen Ge-
richte zum Beiſpiel, die manchmal zur Taͤuſchung
aufgetragen werden, ſind gerade zu abgeſchmackt
zu nennen.

Im noͤrdlichen Deutſchland, ſagte Ernſt,
ſah ich einmal Zuckergebacknes als Torf auf-
ſetzen, und es gefiel den Gaͤſten ſehr.

O ihr unkuͤnſtlich Speiſenden! rief Lothar
aus; warum laßt ihr euch den Marzipan nicht
lieber als die Phyſiognomien eurer Gegner backen,
und zerſchneidet und verzehrt ſie mit Wohlge-
fallen und Herzenswuth? duͤrften nicht Rezen-
ſenten, oder ſonſt verhaßte Menſchen, gleich ſo
auf den Maͤrkten zum Verkauf ausgeboten werden?

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[70/0081] Einleitung. ſehr gut vergleichen laſſen, faͤllt in die Augen; eben ſo ausgemacht iſt es fuͤr den denkenden und hoͤheren Eſſer (ich ignorire jene gemeinere Naturen, die an allem zweifeln, und etwa in materieller Dumpfheit meinen koͤnnen, das Eſ- ſen geſchehe nur, um den Hunger zu vertreiben), daß eine gewiſſe allgemeine Empfindung ausge- ſprochen werden ſoll, der in der ganzen Compo- ſition der Tafel nichts widerſprechen darf, ſei es von Seiten der Speiſen, der Weine, oder der Geſpraͤche, denn aus allem ſoll ſich eine romantiſche Compoſition entwickeln, die mich unterhaͤlt, befriedigt und ergoͤtzt, ohne meine Neu- gier und Theilnahme zu heftig zu ſpannen, ohne mich zu taͤuſchen, oder mir bittre Ruͤckerinn- rungen zu laſſen. Die epigrammatiſchen Ge- richte zum Beiſpiel, die manchmal zur Taͤuſchung aufgetragen werden, ſind gerade zu abgeſchmackt zu nennen. Im noͤrdlichen Deutſchland, ſagte Ernſt, ſah ich einmal Zuckergebacknes als Torf auf- ſetzen, und es gefiel den Gaͤſten ſehr. O ihr unkuͤnſtlich Speiſenden! rief Lothar aus; warum laßt ihr euch den Marzipan nicht lieber als die Phyſiognomien eurer Gegner backen, und zerſchneidet und verzehrt ſie mit Wohlge- fallen und Herzenswuth? duͤrften nicht Rezen- ſenten, oder ſonſt verhaßte Menſchen, gleich ſo auf den Maͤrkten zum Verkauf ausgeboten werden? Von hoͤchſt abentheuerlichen Feſten, ſagte

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/81>, abgerufen am 17.05.2024.