Gespenst bald nicht, wie an die Dulcinea des Don Quixote, und das ist wohl der Spaß an diesem Tagegeiste, daß er zugleich ist und nicht ist.
Seltsam, aber nicht selten, fiel Friedrich ein, ist die Erscheinung (die deinen Unglauben fast bestätigen könnte), daß Menschen, die von Jugend auf sich scheinbar mit dem Geiste des klassischen Alterthums genährt, die immer das Ideal von Kunst im Munde führen, und unbillig selbst das Schönste der Modernen verachten, sich doch plötz- lich aus wunderlicher Leidenschaft so in das Ab- geschmackte und Verzerrte der neuern Welt ver- gaffen können, daß ihr Zustand sehr nahe an Verrücktheit gränzt.
Weil sie die neue Welt gar nicht kannten, antwortete Lothar, war ihre Liebe zur alten auch keine freie und gebildete, sondern nur Aberglaube, der die Form für den Geist nahm. Mir kam auch einmal ein scheinbar gebildeter junger Mann vor, der, nachdem er lange nur den Sophokles und Aeschylus angebetet hatte, ziemlich plötzlich und ohne scheinbaren Uebergang als ächter Pa- triot unsern ungriechischen Kotzebue vergötterte.
Ich bin deiner Meinung, so nahm Ernst das Wort: kein Mensch ist wohl seiner Ueberzeugung oder seines Glaubens versichert, wenn er nicht die gegenüber liegende Reihe von Gedanken und Empfindungen schon in sich erlebt hat, darum ist es nie so schwer gewesen, als es beim ersten Anblick scheinen möchte, die ausgemachtesten Frei-
Einleitung.
Geſpenſt bald nicht, wie an die Dulcinea des Don Quixote, und das iſt wohl der Spaß an dieſem Tagegeiſte, daß er zugleich iſt und nicht iſt.
Seltſam, aber nicht ſelten, fiel Friedrich ein, iſt die Erſcheinung (die deinen Unglauben faſt beſtaͤtigen koͤnnte), daß Menſchen, die von Jugend auf ſich ſcheinbar mit dem Geiſte des klaſſiſchen Alterthums genaͤhrt, die immer das Ideal von Kunſt im Munde fuͤhren, und unbillig ſelbſt das Schoͤnſte der Modernen verachten, ſich doch ploͤtz- lich aus wunderlicher Leidenſchaft ſo in das Ab- geſchmackte und Verzerrte der neuern Welt ver- gaffen koͤnnen, daß ihr Zuſtand ſehr nahe an Verruͤcktheit graͤnzt.
Weil ſie die neue Welt gar nicht kannten, antwortete Lothar, war ihre Liebe zur alten auch keine freie und gebildete, ſondern nur Aberglaube, der die Form fuͤr den Geiſt nahm. Mir kam auch einmal ein ſcheinbar gebildeter junger Mann vor, der, nachdem er lange nur den Sophokles und Aeſchylus angebetet hatte, ziemlich ploͤtzlich und ohne ſcheinbaren Uebergang als aͤchter Pa- triot unſern ungriechiſchen Kotzebue vergoͤtterte.
Ich bin deiner Meinung, ſo nahm Ernſt das Wort: kein Menſch iſt wohl ſeiner Ueberzeugung oder ſeines Glaubens verſichert, wenn er nicht die gegenuͤber liegende Reihe von Gedanken und Empfindungen ſchon in ſich erlebt hat, darum iſt es nie ſo ſchwer geweſen, als es beim erſten Anblick ſcheinen moͤchte, die ausgemachteſten Frei-
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[72/0083]
Einleitung.
Geſpenſt bald nicht, wie an die Dulcinea des
Don Quixote, und das iſt wohl der Spaß an
dieſem Tagegeiſte, daß er zugleich iſt und nicht iſt.
Seltſam, aber nicht ſelten, fiel Friedrich ein,
iſt die Erſcheinung (die deinen Unglauben faſt
beſtaͤtigen koͤnnte), daß Menſchen, die von Jugend
auf ſich ſcheinbar mit dem Geiſte des klaſſiſchen
Alterthums genaͤhrt, die immer das Ideal von
Kunſt im Munde fuͤhren, und unbillig ſelbſt das
Schoͤnſte der Modernen verachten, ſich doch ploͤtz-
lich aus wunderlicher Leidenſchaft ſo in das Ab-
geſchmackte und Verzerrte der neuern Welt ver-
gaffen koͤnnen, daß ihr Zuſtand ſehr nahe an
Verruͤcktheit graͤnzt.
Weil ſie die neue Welt gar nicht kannten,
antwortete Lothar, war ihre Liebe zur alten auch
keine freie und gebildete, ſondern nur Aberglaube,
der die Form fuͤr den Geiſt nahm. Mir kam
auch einmal ein ſcheinbar gebildeter junger Mann
vor, der, nachdem er lange nur den Sophokles
und Aeſchylus angebetet hatte, ziemlich ploͤtzlich
und ohne ſcheinbaren Uebergang als aͤchter Pa-
triot unſern ungriechiſchen Kotzebue vergoͤtterte.
Ich bin deiner Meinung, ſo nahm Ernſt das
Wort: kein Menſch iſt wohl ſeiner Ueberzeugung
oder ſeines Glaubens verſichert, wenn er nicht
die gegenuͤber liegende Reihe von Gedanken und
Empfindungen ſchon in ſich erlebt hat, darum
iſt es nie ſo ſchwer geweſen, als es beim erſten
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/83>, abgerufen am 21.11.2024.
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