Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. dem dritten Aufzuge ein Stillstand, wir sehnnur eine Vorbereitung des Schlusses; im Tasso ist der vierte Akt vielleicht der schönste, aber der dritte enthält dafür diese Vorbereitungen zum vierten; die Eugenie, möchte ich sagen, besteht fast nur aus fünf ersten Akten. Viele Dichter, fuhr Lothar fort, haben den Schluß für die schwierigste Aufgabe der Kunst gehalten, gewiß aber ist der vierte Akt die Klip- pe, an welcher so manches, sonst auch gute Stück, scheitert. Jeder von uns wird die Er- fahrung gemacht haben, wie frisch unsre Auf- merksamkeit beim Anfang des Schauspiels ist, wie schnell uns der erste Akt verschwindet: die- selbe Theilnahme am zweiten und Neugier auf den dritten, der uns gewiß noch unterhält, nach diesem aber tritt eine Ermattung ein, eine Zer- streutheit bei allen Zuschauern, durch welche man- cher Dichter wohl schon zu dem Wunsch mag gebracht worden seyn, daß nach dem dritten Akt sogleich der fünfte folgen könnte. Es ist daher gut, wenn nach einer lebhaften Einleitung sich im zweiten Akt neben der Handlung eine scheinbare Episode etwas ausbreitet, im dritten Akt die Verwirrung und die Leidenschaften noch nicht auf das höchste gespannt sind, damit er- greifende Scenen dem vierten übrig bleiben, und so die Catastrophe etwas Ueberraschendes ent- hält, und immer noch früh genug zu kommen Zweite Abtheilung. dem dritten Aufzuge ein Stillſtand, wir ſehnnur eine Vorbereitung des Schluſſes; im Taſſo iſt der vierte Akt vielleicht der ſchoͤnſte, aber der dritte enthaͤlt dafuͤr dieſe Vorbereitungen zum vierten; die Eugenie, moͤchte ich ſagen, beſteht faſt nur aus fuͤnf erſten Akten. Viele Dichter, fuhr Lothar fort, haben den Schluß fuͤr die ſchwierigſte Aufgabe der Kunſt gehalten, gewiß aber iſt der vierte Akt die Klip- pe, an welcher ſo manches, ſonſt auch gute Stuͤck, ſcheitert. Jeder von uns wird die Er- fahrung gemacht haben, wie friſch unſre Auf- merkſamkeit beim Anfang des Schauſpiels iſt, wie ſchnell uns der erſte Akt verſchwindet: die- ſelbe Theilnahme am zweiten und Neugier auf den dritten, der uns gewiß noch unterhaͤlt, nach dieſem aber tritt eine Ermattung ein, eine Zer- ſtreutheit bei allen Zuſchauern, durch welche man- cher Dichter wohl ſchon zu dem Wunſch mag gebracht worden ſeyn, daß nach dem dritten Akt ſogleich der fuͤnfte folgen koͤnnte. Es iſt daher gut, wenn nach einer lebhaften Einleitung ſich im zweiten Akt neben der Handlung eine ſcheinbare Epiſode etwas ausbreitet, im dritten Akt die Verwirrung und die Leidenſchaften noch nicht auf das hoͤchſte geſpannt ſind, damit er- greifende Scenen dem vierten uͤbrig bleiben, und ſo die Cataſtrophe etwas Ueberraſchendes ent- haͤlt, und immer noch fruͤh genug zu kommen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#WINFRED"> <p><pb facs="#f0149" n="140"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> dem dritten Aufzuge ein Stillſtand, wir ſehn<lb/> nur eine Vorbereitung des Schluſſes; im Taſſo<lb/> iſt der vierte Akt vielleicht der ſchoͤnſte, aber der<lb/> dritte enthaͤlt dafuͤr dieſe Vorbereitungen zum<lb/> vierten; die Eugenie, moͤchte ich ſagen, beſteht<lb/> faſt nur aus fuͤnf erſten Akten.</p><lb/> <p>Viele Dichter, fuhr Lothar fort, haben den<lb/> Schluß fuͤr die ſchwierigſte Aufgabe der Kunſt<lb/> gehalten, gewiß aber iſt der vierte Akt die Klip-<lb/> pe, an welcher ſo manches, ſonſt auch gute<lb/> Stuͤck, ſcheitert. Jeder von uns wird die Er-<lb/> fahrung gemacht haben, wie friſch unſre Auf-<lb/> merkſamkeit beim Anfang des Schauſpiels iſt,<lb/> wie ſchnell uns der erſte Akt verſchwindet: die-<lb/> ſelbe Theilnahme am zweiten und Neugier auf<lb/> den dritten, der uns gewiß noch unterhaͤlt, nach<lb/> dieſem aber tritt eine Ermattung ein, eine Zer-<lb/> ſtreutheit bei allen Zuſchauern, durch welche man-<lb/> cher Dichter wohl ſchon zu dem Wunſch mag<lb/> gebracht worden ſeyn, daß nach dem dritten<lb/> Akt ſogleich der fuͤnfte folgen koͤnnte. Es iſt<lb/> daher gut, wenn nach einer lebhaften Einleitung<lb/> ſich im zweiten Akt neben der Handlung eine<lb/> ſcheinbare Epiſode etwas ausbreitet, im dritten<lb/> Akt die Verwirrung und die Leidenſchaften noch<lb/> nicht auf das hoͤchſte geſpannt ſind, damit er-<lb/> greifende Scenen dem vierten uͤbrig bleiben, und<lb/> ſo die Cataſtrophe etwas Ueberraſchendes ent-<lb/> haͤlt, und immer noch fruͤh genug zu kommen<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [140/0149]
Zweite Abtheilung.
dem dritten Aufzuge ein Stillſtand, wir ſehn
nur eine Vorbereitung des Schluſſes; im Taſſo
iſt der vierte Akt vielleicht der ſchoͤnſte, aber der
dritte enthaͤlt dafuͤr dieſe Vorbereitungen zum
vierten; die Eugenie, moͤchte ich ſagen, beſteht
faſt nur aus fuͤnf erſten Akten.
Viele Dichter, fuhr Lothar fort, haben den
Schluß fuͤr die ſchwierigſte Aufgabe der Kunſt
gehalten, gewiß aber iſt der vierte Akt die Klip-
pe, an welcher ſo manches, ſonſt auch gute
Stuͤck, ſcheitert. Jeder von uns wird die Er-
fahrung gemacht haben, wie friſch unſre Auf-
merkſamkeit beim Anfang des Schauſpiels iſt,
wie ſchnell uns der erſte Akt verſchwindet: die-
ſelbe Theilnahme am zweiten und Neugier auf
den dritten, der uns gewiß noch unterhaͤlt, nach
dieſem aber tritt eine Ermattung ein, eine Zer-
ſtreutheit bei allen Zuſchauern, durch welche man-
cher Dichter wohl ſchon zu dem Wunſch mag
gebracht worden ſeyn, daß nach dem dritten
Akt ſogleich der fuͤnfte folgen koͤnnte. Es iſt
daher gut, wenn nach einer lebhaften Einleitung
ſich im zweiten Akt neben der Handlung eine
ſcheinbare Epiſode etwas ausbreitet, im dritten
Akt die Verwirrung und die Leidenſchaften noch
nicht auf das hoͤchſte geſpannt ſind, damit er-
greifende Scenen dem vierten uͤbrig bleiben, und
ſo die Cataſtrophe etwas Ueberraſchendes ent-
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