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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
Müller. Ein exzellenter Kunstgenuß, toll zu
seyn, das muß ich gestehn!
Schlosser. Es ist zu arg. Statt daß er
froh seyn sollte, daß er nur, wenn auch in ima-
ginärer Welt, wenigstens existieren darf, will er
den andern von phantastischen Hofnungen abbrin-
gen, und behandelt ihn als Schwärmer, der doch
wenigstens als Bauer nicht den Gesetzen unserer
gewöhnlichen Welt widerspricht!
Gottlieb. Wenn ich nur wüßte, lieber Hinze,
wo Du die viele Erfahrung, den Verstand herbe-
kommen hast.
Hinze. Glaubst Du denn, daß man Tage-
lang umsonst unterm Ofen liegt und die Augen
fest zumacht? Ich habe dort immer im Stillen
fortstudirt. Heimlich und unbemerkt wächst die
Kraft des Verstandes, daher hat man dann am
wenigsten Fortschritte gemacht, wenn man manch-
mal Lust kriegt, sich mit einem recht langen Halse
nach der zurückgelegten Bahn umzusehn. -- Uebri-
gens sei doch so gut und binde mir die Serviette ab.
Gottlieb. (thuts). Gesegnete Mahlzeit! --
(sie küssen sich.) Nimm so vorlieb.
Hinze. Ich danke von ganzen Herzen.
Gottlieb. Die Stiefeln sitzen recht hübsch,
und Du hast einen scharmanten kleinen Fuß.
Hinze. Das macht bloß, weil unser eins im-
mer auf den Zehen geht, wie Du auch wirst in
der Naturgeschichte gelesen haben.
Gottlieb. Ich habe einen großen Respekt
vor Dir, -- von wegen der Stiefeln.

Zweite Abtheilung.
Muͤller. Ein exzellenter Kunſtgenuß, toll zu
ſeyn, das muß ich geſtehn!
Schloſſer. Es iſt zu arg. Statt daß er
froh ſeyn ſollte, daß er nur, wenn auch in ima-
ginaͤrer Welt, wenigſtens exiſtieren darf, will er
den andern von phantaſtiſchen Hofnungen abbrin-
gen, und behandelt ihn als Schwaͤrmer, der doch
wenigſtens als Bauer nicht den Geſetzen unſerer
gewoͤhnlichen Welt widerſpricht!
Gottlieb. Wenn ich nur wuͤßte, lieber Hinze,
wo Du die viele Erfahrung, den Verſtand herbe-
kommen haſt.
Hinze. Glaubſt Du denn, daß man Tage-
lang umſonſt unterm Ofen liegt und die Augen
feſt zumacht? Ich habe dort immer im Stillen
fortſtudirt. Heimlich und unbemerkt waͤchſt die
Kraft des Verſtandes, daher hat man dann am
wenigſten Fortſchritte gemacht, wenn man manch-
mal Luſt kriegt, ſich mit einem recht langen Halſe
nach der zuruͤckgelegten Bahn umzuſehn. — Uebri-
gens ſei doch ſo gut und binde mir die Serviette ab.
Gottlieb. (thuts). Geſegnete Mahlzeit! —
(ſie kuͤſſen ſich.) Nimm ſo vorlieb.
Hinze. Ich danke von ganzen Herzen.
Gottlieb. Die Stiefeln ſitzen recht huͤbſch,
und Du haſt einen ſcharmanten kleinen Fuß.
Hinze. Das macht bloß, weil unſer eins im-
mer auf den Zehen geht, wie Du auch wirſt in
der Naturgeſchichte geleſen haben.
Gottlieb. Ich habe einen großen Reſpekt
vor Dir, — von wegen der Stiefeln.

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[180/0189] Zweite Abtheilung. Muͤller. Ein exzellenter Kunſtgenuß, toll zu ſeyn, das muß ich geſtehn! Schloſſer. Es iſt zu arg. Statt daß er froh ſeyn ſollte, daß er nur, wenn auch in ima- ginaͤrer Welt, wenigſtens exiſtieren darf, will er den andern von phantaſtiſchen Hofnungen abbrin- gen, und behandelt ihn als Schwaͤrmer, der doch wenigſtens als Bauer nicht den Geſetzen unſerer gewoͤhnlichen Welt widerſpricht! Gottlieb. Wenn ich nur wuͤßte, lieber Hinze, wo Du die viele Erfahrung, den Verſtand herbe- kommen haſt. Hinze. Glaubſt Du denn, daß man Tage- lang umſonſt unterm Ofen liegt und die Augen feſt zumacht? Ich habe dort immer im Stillen fortſtudirt. Heimlich und unbemerkt waͤchſt die Kraft des Verſtandes, daher hat man dann am wenigſten Fortſchritte gemacht, wenn man manch- mal Luſt kriegt, ſich mit einem recht langen Halſe nach der zuruͤckgelegten Bahn umzuſehn. — Uebri- gens ſei doch ſo gut und binde mir die Serviette ab. Gottlieb. (thuts). Geſegnete Mahlzeit! — (ſie kuͤſſen ſich.) Nimm ſo vorlieb. Hinze. Ich danke von ganzen Herzen. Gottlieb. Die Stiefeln ſitzen recht huͤbſch, und Du haſt einen ſcharmanten kleinen Fuß. Hinze. Das macht bloß, weil unſer eins im- mer auf den Zehen geht, wie Du auch wirſt in der Naturgeſchichte geleſen haben. Gottlieb. Ich habe einen großen Reſpekt vor Dir, — von wegen der Stiefeln.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/189>, abgerufen am 21.11.2024.