Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Die verkehrte Welt. Fremder. Was? Wirth. Wenn Sie nur Beifall finden! -- Geld müssen sie doch wenigstens haben; oder dient es etwa in Ihrem Kram, daß Sie sich arm stellen? Fremder. Sie sind sehr neugierig, Herr Wirth. Wirth. Das muß ich seyn, mein Herr, da können Sie jeden Sekundaner fragen. Das Alter muß alt seyn, Telephus muß als Bettler erschei- nen, der Sclave muß seinem Stande gemäß spre- chen. Sie dürfen nur die ars poetica nachschla- gen, und der bin ich als Wirth auch unterworfen. Fremder. Ich danke Ihnen für die schöne Raserei; von dieser ächten Rarität hab ich bis jetzt noch keine angetroffen. -- Haben Sie die neusten Zeitungen? Wirth. Hier! ein merkwürdiger Steckbrief ist darin abgefaßt. Fremder. (liest). "Es ist aus gefänglichem Gewahrsam ein Landstreicher gebrochen, der sich für den Apollo auszugeben pflegt. Er ist an einem silbernen Bogen kennbar und gelocktem Haar, ju- gendlichen Angesichts und pflegt viel zu singen, auch in der Luft zu fliegen. Es will verlauten, daß er sich als Schäfer soll verdungen haben. Jede Obrigkeit wird gebeten, ihn auszuliefern, da an diesem Verbrecher viel gelegen ist. Die etwa- nigen Unkosten sollen ersetzt werden." Wirth. Man soll dem Spitzbuben schon auf der Spur seyn. Fremder. Ich habe ihn sonst recht gut ge- II. [ 19 ]
Die verkehrte Welt. Fremder. Was? Wirth. Wenn Sie nur Beifall finden! — Geld muͤſſen ſie doch wenigſtens haben; oder dient es etwa in Ihrem Kram, daß Sie ſich arm ſtellen? Fremder. Sie ſind ſehr neugierig, Herr Wirth. Wirth. Das muß ich ſeyn, mein Herr, da koͤnnen Sie jeden Sekundaner fragen. Das Alter muß alt ſeyn, Telephus muß als Bettler erſchei- nen, der Sclave muß ſeinem Stande gemaͤß ſpre- chen. Sie duͤrfen nur die ars poetica nachſchla- gen, und der bin ich als Wirth auch unterworfen. Fremder. Ich danke Ihnen fuͤr die ſchoͤne Raſerei; von dieſer aͤchten Raritaͤt hab ich bis jetzt noch keine angetroffen. — Haben Sie die neuſten Zeitungen? Wirth. Hier! ein merkwuͤrdiger Steckbrief iſt darin abgefaßt. Fremder. (lieſt). „Es iſt aus gefaͤnglichem Gewahrſam ein Landſtreicher gebrochen, der ſich fuͤr den Apollo auszugeben pflegt. Er iſt an einem ſilbernen Bogen kennbar und gelocktem Haar, ju- gendlichen Angeſichts und pflegt viel zu ſingen, auch in der Luft zu fliegen. Es will verlauten, daß er ſich als Schaͤfer ſoll verdungen haben. Jede Obrigkeit wird gebeten, ihn auszuliefern, da an dieſem Verbrecher viel gelegen iſt. Die etwa- nigen Unkoſten ſollen erſetzt werden.“ Wirth. Man ſoll dem Spitzbuben ſchon auf der Spur ſeyn. Fremder. Ich habe ihn ſonſt recht gut ge- II. [ 19 ]
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0298" n="289"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die verkehrte Welt</hi>.</fw><lb/> <sp who="#FREMD"> <speaker><hi rendition="#g">Fremder</hi>.</speaker> <p>Was?</p> </sp><lb/> <sp who="#WIRTH"> <speaker><hi rendition="#g">Wirth</hi>.</speaker> <p>Wenn Sie nur Beifall finden! —<lb/> Geld muͤſſen ſie doch wenigſtens haben; oder dient<lb/> es etwa in Ihrem Kram, daß Sie ſich arm ſtellen?</p> </sp><lb/> <sp who="#FREMD"> <speaker><hi rendition="#g">Fremder</hi>.</speaker> <p>Sie ſind ſehr neugierig, Herr<lb/> Wirth.</p> </sp><lb/> <sp who="#WIRTH"> <speaker><hi rendition="#g">Wirth</hi>.</speaker> <p>Das muß ich ſeyn, mein Herr, da<lb/> koͤnnen Sie jeden Sekundaner fragen. Das Alter<lb/> muß alt ſeyn, Telephus muß als Bettler erſchei-<lb/> nen, der Sclave muß ſeinem Stande gemaͤß ſpre-<lb/> chen. Sie duͤrfen nur die <hi rendition="#aq">ars poetica</hi> nachſchla-<lb/> gen, und der bin ich als Wirth auch unterworfen.</p> </sp><lb/> <sp who="#FREMD"> <speaker><hi rendition="#g">Fremder</hi>.</speaker> <p>Ich danke Ihnen fuͤr die ſchoͤne<lb/> Raſerei; von dieſer aͤchten Raritaͤt hab ich bis jetzt<lb/> noch keine angetroffen. — Haben Sie die neuſten<lb/> Zeitungen?</p> </sp><lb/> <sp who="#WIRTH"> <speaker><hi rendition="#g">Wirth</hi>.</speaker> <p>Hier! ein merkwuͤrdiger Steckbrief<lb/> iſt darin abgefaßt.</p> </sp><lb/> <sp who="#FREMD"> <speaker><hi rendition="#g">Fremder</hi>.</speaker> <stage>(lieſt).</stage> <p>„Es iſt aus gefaͤnglichem<lb/> Gewahrſam ein Landſtreicher gebrochen, der ſich<lb/> fuͤr den Apollo auszugeben pflegt. Er iſt an einem<lb/> ſilbernen Bogen kennbar und gelocktem Haar, ju-<lb/> gendlichen Angeſichts und pflegt viel zu ſingen,<lb/> auch in der Luft zu fliegen. Es will verlauten,<lb/> daß er ſich als Schaͤfer ſoll verdungen haben.<lb/> Jede Obrigkeit wird gebeten, ihn auszuliefern, da<lb/> an dieſem Verbrecher viel gelegen iſt. Die etwa-<lb/> nigen Unkoſten ſollen erſetzt werden.“</p> </sp><lb/> <sp who="#WIRTH"> <speaker><hi rendition="#g">Wirth</hi>.</speaker> <p>Man ſoll dem Spitzbuben ſchon auf<lb/> der Spur ſeyn.</p> </sp><lb/> <sp who="#FREMD"> <speaker><hi rendition="#g">Fremder</hi>.</speaker> <p>Ich habe ihn ſonſt recht gut ge-<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II.</hi> [ 19 ]</fw><lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [289/0298]
Die verkehrte Welt.
Fremder. Was?
Wirth. Wenn Sie nur Beifall finden! —
Geld muͤſſen ſie doch wenigſtens haben; oder dient
es etwa in Ihrem Kram, daß Sie ſich arm ſtellen?
Fremder. Sie ſind ſehr neugierig, Herr
Wirth.
Wirth. Das muß ich ſeyn, mein Herr, da
koͤnnen Sie jeden Sekundaner fragen. Das Alter
muß alt ſeyn, Telephus muß als Bettler erſchei-
nen, der Sclave muß ſeinem Stande gemaͤß ſpre-
chen. Sie duͤrfen nur die ars poetica nachſchla-
gen, und der bin ich als Wirth auch unterworfen.
Fremder. Ich danke Ihnen fuͤr die ſchoͤne
Raſerei; von dieſer aͤchten Raritaͤt hab ich bis jetzt
noch keine angetroffen. — Haben Sie die neuſten
Zeitungen?
Wirth. Hier! ein merkwuͤrdiger Steckbrief
iſt darin abgefaßt.
Fremder. (lieſt). „Es iſt aus gefaͤnglichem
Gewahrſam ein Landſtreicher gebrochen, der ſich
fuͤr den Apollo auszugeben pflegt. Er iſt an einem
ſilbernen Bogen kennbar und gelocktem Haar, ju-
gendlichen Angeſichts und pflegt viel zu ſingen,
auch in der Luft zu fliegen. Es will verlauten,
daß er ſich als Schaͤfer ſoll verdungen haben.
Jede Obrigkeit wird gebeten, ihn auszuliefern, da
an dieſem Verbrecher viel gelegen iſt. Die etwa-
nigen Unkoſten ſollen erſetzt werden.“
Wirth. Man ſoll dem Spitzbuben ſchon auf
der Spur ſeyn.
Fremder. Ich habe ihn ſonſt recht gut ge-
II. [ 19 ]
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |