Ja der Verstand, wenn er sich recht auf den Grund kommen will, wenn er sein eignes Wesen bis ins Innerste erforscht, und sich nun selbst be- obachtet und beobachtend vor sich liegen hat, sagt: darinn ist kein Verstand.
Nicht wahr, es ist am bequemsten, das Denken ganz aufzugeben? das thun auch die meisten, ohne es zu wissen. Doch wer mit Vernunft die Ver- nunft vernichtet, ist dadurch wieder vernünftig. Daß nur keiner sagt: darinn ist kein Verstand.
Manche Verse sind toll gewordene Prose, manche Prose ist gichtlahmer Vers, was zwischen Poesie und Prosa liegt, ist auch nicht das Beste, -- o Musik! wohin willst du? Nicht wahr, du gestehst es zu: in Dir ist kein Verstand.
Wozu sollen diese Gedanken? Wozu soll der- gleichen Musik? Wozu sollen dergleichen historische Schauspiele? Wozu soll am Ende die ganze Welt? Wozu sollen aber auch solche Fragen? In ihnen steckt kein Verstand.
Von der Mücke bis zum Elephanten ist alles zunächst um sein Selbstwillen da, des Menschen zu geschweigen; so sollte es nicht auch mit Gedanken seyn, die früher sind als ihre Anwendung? Nicht ebenfalls mit Laune und Kunst und Lachen aus einer verkehrten Welt? Verkehrt sie nur noch ein- mal, so kehrt ihr die rechte Seite heraus, und Ihr sagt dann nicht: darinn ist kein Verstand.
Zweite Abtheilung.
Ja der Verſtand, wenn er ſich recht auf den Grund kommen will, wenn er ſein eignes Weſen bis ins Innerſte erforſcht, und ſich nun ſelbſt be- obachtet und beobachtend vor ſich liegen hat, ſagt: darinn iſt kein Verſtand.
Nicht wahr, es iſt am bequemſten, das Denken ganz aufzugeben? das thun auch die meiſten, ohne es zu wiſſen. Doch wer mit Vernunft die Ver- nunft vernichtet, iſt dadurch wieder vernuͤnftig. Daß nur keiner ſagt: darinn iſt kein Verſtand.
Manche Verſe ſind toll gewordene Proſe, manche Proſe iſt gichtlahmer Vers, was zwiſchen Poeſie und Proſa liegt, iſt auch nicht das Beſte, — o Muſik! wohin willſt du? Nicht wahr, du geſtehſt es zu: in Dir iſt kein Verſtand.
Wozu ſollen dieſe Gedanken? Wozu ſoll der- gleichen Muſik? Wozu ſollen dergleichen hiſtoriſche Schauſpiele? Wozu ſoll am Ende die ganze Welt? Wozu ſollen aber auch ſolche Fragen? In ihnen ſteckt kein Verſtand.
Von der Muͤcke bis zum Elephanten iſt alles zunaͤchſt um ſein Selbſtwillen da, des Menſchen zu geſchweigen; ſo ſollte es nicht auch mit Gedanken ſeyn, die fruͤher ſind als ihre Anwendung? Nicht ebenfalls mit Laune und Kunſt und Lachen aus einer verkehrten Welt? Verkehrt ſie nur noch ein- mal, ſo kehrt ihr die rechte Seite heraus, und Ihr ſagt dann nicht: darinn iſt kein Verſtand.
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Zweite Abtheilung.
Ja der Verſtand, wenn er ſich recht auf den
Grund kommen will, wenn er ſein eignes Weſen
bis ins Innerſte erforſcht, und ſich nun ſelbſt be-
obachtet und beobachtend vor ſich liegen hat, ſagt:
darinn iſt kein Verſtand.
Nicht wahr, es iſt am bequemſten, das Denken
ganz aufzugeben? das thun auch die meiſten, ohne
es zu wiſſen. Doch wer mit Vernunft die Ver-
nunft vernichtet, iſt dadurch wieder vernuͤnftig.
Daß nur keiner ſagt: darinn iſt kein Verſtand.
Manche Verſe ſind toll gewordene Proſe,
manche Proſe iſt gichtlahmer Vers, was zwiſchen
Poeſie und Proſa liegt, iſt auch nicht das Beſte, —
o Muſik! wohin willſt du? Nicht wahr, du geſtehſt
es zu: in Dir iſt kein Verſtand.
Wozu ſollen dieſe Gedanken? Wozu ſoll der-
gleichen Muſik? Wozu ſollen dergleichen hiſtoriſche
Schauſpiele? Wozu ſoll am Ende die ganze Welt?
Wozu ſollen aber auch ſolche Fragen? In ihnen
ſteckt kein Verſtand.
Von der Muͤcke bis zum Elephanten iſt alles
zunaͤchſt um ſein Selbſtwillen da, des Menſchen zu
geſchweigen; ſo ſollte es nicht auch mit Gedanken
ſeyn, die fruͤher ſind als ihre Anwendung? Nicht
ebenfalls mit Laune und Kunſt und Lachen aus
einer verkehrten Welt? Verkehrt ſie nur noch ein-
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/341>, abgerufen am 22.11.2024.
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