Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Die verkehrte Welt. Gestalten, Götterphysiognomieen zu seinen Gespie-len habe, und sich so der Sinn für die hohe Kunst in ihm so leichter erschließe. Gattin. Der Eindruck, den die barbarische Figur auf mich gemacht hat, war so stark, daß ich die ganze Nacht von diesem fürchterlichen Hans- wurst geträumt habe. Am Ende warst du selbst der Gräßliche, mein Selmar, und ich erwachte mit Entsetzen. Rabe. Könnte man die guten Kinder nur ganz vom übrigen Menschengeschlecht absondern, so würde ihre Heiligkeit um so weniger gestört; Denk, -- am vorigen Sonntag betreff ich unsern Wilhelm in der Rosenlaube, indem er für sich: "Ach du mein lieber Augustin!" singt. Gattin. Schaudervoll, o schaudervoll, höchst schaudervoll! Rabe. Da er Trieb zur Kunst hat, so habe ich den herrlichen Chorgesang aus dem Sophokles über das Schicksal zu der Melodie: "Blühe lie- bes Veilchen," bearbeitet, und das soll er einstu- diren; kann er den lieben Augustin aber gar nicht vergessen, so akkommodire ich ein Matthissonsches Mondscheingedicht zu dieser Weise, damit ihm die Gemeinheit des Liedes nur verschwinde. Gattin. Die Kinderschriften haben doch eine vortheilhafte Revolution zuwege gebracht. Rabe. O was werden unsre Kinder auch für göttliche Menschen werden! Gattin. Man wird sie ohne Zweifel in Kup- fer stechen. Die verkehrte Welt. Geſtalten, Goͤtterphyſiognomieen zu ſeinen Geſpie-len habe, und ſich ſo der Sinn fuͤr die hohe Kunſt in ihm ſo leichter erſchließe. Gattin. Der Eindruck, den die barbariſche Figur auf mich gemacht hat, war ſo ſtark, daß ich die ganze Nacht von dieſem fuͤrchterlichen Hans- wurſt getraͤumt habe. Am Ende warſt du ſelbſt der Graͤßliche, mein Selmar, und ich erwachte mit Entſetzen. Rabe. Koͤnnte man die guten Kinder nur ganz vom uͤbrigen Menſchengeſchlecht abſondern, ſo wuͤrde ihre Heiligkeit um ſo weniger geſtoͤrt; Denk, — am vorigen Sonntag betreff ich unſern Wilhelm in der Roſenlaube, indem er fuͤr ſich: „Ach du mein lieber Auguſtin!“ ſingt. Gattin. Schaudervoll, o ſchaudervoll, hoͤchſt ſchaudervoll! Rabe. Da er Trieb zur Kunſt hat, ſo habe ich den herrlichen Chorgeſang aus dem Sophokles uͤber das Schickſal zu der Melodie: „Bluͤhe lie- bes Veilchen,“ bearbeitet, und das ſoll er einſtu- diren; kann er den lieben Auguſtin aber gar nicht vergeſſen, ſo akkommodire ich ein Matthiſſonſches Mondſcheingedicht zu dieſer Weiſe, damit ihm die Gemeinheit des Liedes nur verſchwinde. Gattin. Die Kinderſchriften haben doch eine vortheilhafte Revolution zuwege gebracht. Rabe. O was werden unſre Kinder auch fuͤr goͤttliche Menſchen werden! Gattin. Man wird ſie ohne Zweifel in Kup- fer ſtechen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#RAB"> <p><pb facs="#f0350" n="341"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die verkehrte Welt</hi>.</fw><lb/> Geſtalten, Goͤtterphyſiognomieen zu ſeinen Geſpie-<lb/> len habe, und ſich ſo der Sinn fuͤr die hohe Kunſt<lb/> in ihm ſo leichter erſchließe.</p> </sp><lb/> <sp who="#GATTIN"> <speaker><hi rendition="#g">Gattin</hi>.</speaker> <p>Der Eindruck, den die barbariſche<lb/> Figur auf mich gemacht hat, war ſo ſtark, daß<lb/> ich die ganze Nacht von dieſem fuͤrchterlichen Hans-<lb/> wurſt getraͤumt habe. Am Ende warſt du ſelbſt<lb/> der Graͤßliche, mein Selmar, und ich erwachte mit<lb/> Entſetzen.</p> </sp><lb/> <sp who="#RAB"> <speaker><hi rendition="#g">Rabe</hi>.</speaker> <p>Koͤnnte man die guten Kinder nur<lb/> ganz vom uͤbrigen Menſchengeſchlecht abſondern,<lb/> ſo wuͤrde ihre Heiligkeit um ſo weniger geſtoͤrt;<lb/> Denk, — am vorigen Sonntag betreff ich unſern<lb/> Wilhelm in der Roſenlaube, indem er fuͤr ſich:<lb/> „Ach du mein lieber Auguſtin!“ ſingt.</p> </sp><lb/> <sp who="#GATTIN"> <speaker><hi rendition="#g">Gattin</hi>.</speaker> <p>Schaudervoll, o ſchaudervoll, hoͤchſt<lb/> ſchaudervoll!</p> </sp><lb/> <sp who="#RAB"> <speaker><hi rendition="#g">Rabe</hi>.</speaker> <p>Da er Trieb zur Kunſt hat, ſo habe<lb/> ich den herrlichen Chorgeſang aus dem Sophokles<lb/> uͤber das Schickſal zu der Melodie: „Bluͤhe lie-<lb/> bes Veilchen,“ bearbeitet, und das ſoll er einſtu-<lb/> diren; kann er den lieben Auguſtin aber gar nicht<lb/> vergeſſen, ſo akkommodire ich ein Matthiſſonſches<lb/> Mondſcheingedicht zu dieſer Weiſe, damit ihm die<lb/> Gemeinheit des Liedes nur verſchwinde.</p> </sp><lb/> <sp who="#GATTIN"> <speaker><hi rendition="#g">Gattin</hi>.</speaker> <p>Die Kinderſchriften haben doch eine<lb/> vortheilhafte Revolution zuwege gebracht.</p> </sp><lb/> <sp who="#RAB"> <speaker><hi rendition="#g">Rabe</hi>.</speaker> <p>O was werden unſre Kinder auch fuͤr<lb/> goͤttliche Menſchen werden!</p> </sp><lb/> <sp who="#GATTIN"> <speaker><hi rendition="#g">Gattin</hi>.</speaker> <p>Man wird ſie ohne Zweifel in Kup-<lb/> fer ſtechen.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [341/0350]
Die verkehrte Welt.
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len habe, und ſich ſo der Sinn fuͤr die hohe Kunſt
in ihm ſo leichter erſchließe.
Gattin. Der Eindruck, den die barbariſche
Figur auf mich gemacht hat, war ſo ſtark, daß
ich die ganze Nacht von dieſem fuͤrchterlichen Hans-
wurſt getraͤumt habe. Am Ende warſt du ſelbſt
der Graͤßliche, mein Selmar, und ich erwachte mit
Entſetzen.
Rabe. Koͤnnte man die guten Kinder nur
ganz vom uͤbrigen Menſchengeſchlecht abſondern,
ſo wuͤrde ihre Heiligkeit um ſo weniger geſtoͤrt;
Denk, — am vorigen Sonntag betreff ich unſern
Wilhelm in der Roſenlaube, indem er fuͤr ſich:
„Ach du mein lieber Auguſtin!“ ſingt.
Gattin. Schaudervoll, o ſchaudervoll, hoͤchſt
ſchaudervoll!
Rabe. Da er Trieb zur Kunſt hat, ſo habe
ich den herrlichen Chorgeſang aus dem Sophokles
uͤber das Schickſal zu der Melodie: „Bluͤhe lie-
bes Veilchen,“ bearbeitet, und das ſoll er einſtu-
diren; kann er den lieben Auguſtin aber gar nicht
vergeſſen, ſo akkommodire ich ein Matthiſſonſches
Mondſcheingedicht zu dieſer Weiſe, damit ihm die
Gemeinheit des Liedes nur verſchwinde.
Gattin. Die Kinderſchriften haben doch eine
vortheilhafte Revolution zuwege gebracht.
Rabe. O was werden unſre Kinder auch fuͤr
goͤttliche Menſchen werden!
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