Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweite Abtheilung.
mich um so mehr, euch nächstens wieder zu de-
sertiren, um jenen wunderlichen Tempel des
Apollo zu besuchen. Weiß ich doch nicht, was
so wahrhaft das Leben erhöht, in jedem Unglück
tröstet, in jedem Mißmuth uns freundlich an-
lacht, als irgend eine recht bestimmte Liebhabe-
rei. Was kann dem leidenschaftlichen Sammler
begegnen, worüber ihn nicht eine neue Münze,
ein Wappen, ein seltnes Blatt erheiterte? Die
Sammlung müßte etwa abbrennen oder gestoh-
len werden. Vielleicht wäre es bei euch nur
Abgeschmacktheit oder Affektation, wenn Ihr im
schlechtesten Wetter so weit reiten und mit eini-
ger Lebensgefahr zurückkehren wolltet, um ein
Ding anzusehn, daß euch kaum die Zeit ver-
triebe, geschweige ergötzte; ich aber habe meine
abentheuerliche Wanderung in keinem Augenblicke
bereuen können, außer dort oben, in jenem ver-
wünschten, steil abgehenden Holwege, wo das
Pferd bei jedem Schritte stürzte, und ich weder
rechts noch links, noch vor mir eine Handbreit
sehn konnte. Diese Minuten abgerechnet war
mir wohl und heiter zu Muth, die Bilder der
gespielten Comödie umgaukelten mich wunderlich,
die Schimmer der Nacht, die räthselhaften For-
men der Berge, der Wind und Regen bauten
meinen Vorstellungen ein neues, höchst poetisches
Theater, und indem ich jetzt bei wohlthätigem
Licht die Gesichter meiner Freunde wieder sehe,
die mich so herzlich an und auslachen, indem

Zweite Abtheilung.
mich um ſo mehr, euch naͤchſtens wieder zu de-
ſertiren, um jenen wunderlichen Tempel des
Apollo zu beſuchen. Weiß ich doch nicht, was
ſo wahrhaft das Leben erhoͤht, in jedem Ungluͤck
troͤſtet, in jedem Mißmuth uns freundlich an-
lacht, als irgend eine recht beſtimmte Liebhabe-
rei. Was kann dem leidenſchaftlichen Sammler
begegnen, woruͤber ihn nicht eine neue Muͤnze,
ein Wappen, ein ſeltnes Blatt erheiterte? Die
Sammlung muͤßte etwa abbrennen oder geſtoh-
len werden. Vielleicht waͤre es bei euch nur
Abgeſchmacktheit oder Affektation, wenn Ihr im
ſchlechteſten Wetter ſo weit reiten und mit eini-
ger Lebensgefahr zuruͤckkehren wolltet, um ein
Ding anzuſehn, daß euch kaum die Zeit ver-
triebe, geſchweige ergoͤtzte; ich aber habe meine
abentheuerliche Wanderung in keinem Augenblicke
bereuen koͤnnen, außer dort oben, in jenem ver-
wuͤnſchten, ſteil abgehenden Holwege, wo das
Pferd bei jedem Schritte ſtuͤrzte, und ich weder
rechts noch links, noch vor mir eine Handbreit
ſehn konnte. Dieſe Minuten abgerechnet war
mir wohl und heiter zu Muth, die Bilder der
geſpielten Comoͤdie umgaukelten mich wunderlich,
die Schimmer der Nacht, die raͤthſelhaften For-
men der Berge, der Wind und Regen bauten
meinen Vorſtellungen ein neues, hoͤchſt poetiſches
Theater, und indem ich jetzt bei wohlthaͤtigem
Licht die Geſichter meiner Freunde wieder ſehe,
die mich ſo herzlich an und auslachen, indem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0397" n="388"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
mich um &#x017F;o mehr, euch na&#x0364;ch&#x017F;tens wieder zu de-<lb/>
&#x017F;ertiren, um jenen wunderlichen Tempel des<lb/>
Apollo zu be&#x017F;uchen. Weiß ich doch nicht, was<lb/>
&#x017F;o wahrhaft das Leben erho&#x0364;ht, in jedem Unglu&#x0364;ck<lb/>
tro&#x0364;&#x017F;tet, in jedem Mißmuth uns freundlich an-<lb/>
lacht, als irgend eine recht be&#x017F;timmte Liebhabe-<lb/>
rei. Was kann dem leiden&#x017F;chaftlichen Sammler<lb/>
begegnen, woru&#x0364;ber ihn nicht eine neue Mu&#x0364;nze,<lb/>
ein Wappen, ein &#x017F;eltnes Blatt erheiterte? Die<lb/>
Sammlung mu&#x0364;ßte etwa abbrennen oder ge&#x017F;toh-<lb/>
len werden. Vielleicht wa&#x0364;re es bei euch nur<lb/>
Abge&#x017F;chmacktheit oder Affektation, wenn Ihr im<lb/>
&#x017F;chlechte&#x017F;ten Wetter &#x017F;o weit reiten und mit eini-<lb/>
ger Lebensgefahr zuru&#x0364;ckkehren wolltet, um ein<lb/>
Ding anzu&#x017F;ehn, daß euch kaum die Zeit ver-<lb/>
triebe, ge&#x017F;chweige ergo&#x0364;tzte; ich aber habe meine<lb/>
abentheuerliche Wanderung in keinem Augenblicke<lb/>
bereuen ko&#x0364;nnen, außer dort oben, in jenem ver-<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chten, &#x017F;teil abgehenden Holwege, wo das<lb/>
Pferd bei jedem Schritte &#x017F;tu&#x0364;rzte, und ich weder<lb/>
rechts noch links, noch vor mir eine Handbreit<lb/>
&#x017F;ehn konnte. Die&#x017F;e Minuten abgerechnet war<lb/>
mir wohl und heiter zu Muth, die Bilder der<lb/>
ge&#x017F;pielten Como&#x0364;die umgaukelten mich wunderlich,<lb/>
die Schimmer der Nacht, die ra&#x0364;th&#x017F;elhaften For-<lb/>
men der Berge, der Wind und Regen bauten<lb/>
meinen Vor&#x017F;tellungen ein neues, ho&#x0364;ch&#x017F;t poeti&#x017F;ches<lb/>
Theater, und indem ich jetzt bei wohltha&#x0364;tigem<lb/>
Licht die Ge&#x017F;ichter meiner Freunde wieder &#x017F;ehe,<lb/>
die mich &#x017F;o herzlich an und auslachen, indem<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[388/0397] Zweite Abtheilung. mich um ſo mehr, euch naͤchſtens wieder zu de- ſertiren, um jenen wunderlichen Tempel des Apollo zu beſuchen. Weiß ich doch nicht, was ſo wahrhaft das Leben erhoͤht, in jedem Ungluͤck troͤſtet, in jedem Mißmuth uns freundlich an- lacht, als irgend eine recht beſtimmte Liebhabe- rei. Was kann dem leidenſchaftlichen Sammler begegnen, woruͤber ihn nicht eine neue Muͤnze, ein Wappen, ein ſeltnes Blatt erheiterte? Die Sammlung muͤßte etwa abbrennen oder geſtoh- len werden. Vielleicht waͤre es bei euch nur Abgeſchmacktheit oder Affektation, wenn Ihr im ſchlechteſten Wetter ſo weit reiten und mit eini- ger Lebensgefahr zuruͤckkehren wolltet, um ein Ding anzuſehn, daß euch kaum die Zeit ver- triebe, geſchweige ergoͤtzte; ich aber habe meine abentheuerliche Wanderung in keinem Augenblicke bereuen koͤnnen, außer dort oben, in jenem ver- wuͤnſchten, ſteil abgehenden Holwege, wo das Pferd bei jedem Schritte ſtuͤrzte, und ich weder rechts noch links, noch vor mir eine Handbreit ſehn konnte. Dieſe Minuten abgerechnet war mir wohl und heiter zu Muth, die Bilder der geſpielten Comoͤdie umgaukelten mich wunderlich, die Schimmer der Nacht, die raͤthſelhaften For- men der Berge, der Wind und Regen bauten meinen Vorſtellungen ein neues, hoͤchſt poetiſches Theater, und indem ich jetzt bei wohlthaͤtigem Licht die Geſichter meiner Freunde wieder ſehe, die mich ſo herzlich an und auslachen, indem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/397
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/397>, abgerufen am 23.11.2024.