Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. von der ich noch nicht hergestellt war. Ein Lip-perle war es, der mich anlockte, eine Maske, die mir noch unbekannt war. Ich war kaum im Stande zu gehn, und ein gutmüthiger Freund gab endlich meinen Bitten nach, mich an einem schönen Sommerabend zu begleiten und zu be- schützen. Die Vorstellung war eine jener grel- len, populären, die für mich und das Volk immer Reiz behalten. Die ernsthaften Rollen, die großen Herren und Fürsten wurden schlecht und steif extemporisirt und nur der Narr war unvergleichlich, wodurch das Stück ein wahres großes Weltgemälde wurde, und sich von selbst poetisch ironisirte. Schon im dritten Akt zog ein Gewitter auf, und mein eifriger Freund er- mahnte mich, uns fort zu machen, weil die Blitze schon durch die Bretter flimmten und die sparsame Erleuchtung überglänzten, auch der Donner bestimmt in der Ferne murrte. Ich menite aber, daß Gewitter könne eben so gut eine andre Straße ziehn, und war so versessen, das Ende abzuwarten, so unbequem ich auch auf den rauhen schmalen Bänken saß, so oft ich auch im Schmerz ohne Gewinn die Stellung wechselte, daß ich wirklich den Schluß und bald nach ihm das stärkste Gewitter erlebte. Nun war guter Rath theuer. An schnelleres Gehn war bei meiner Unbehülflichkeit nicht zu denken, ein Wagen nicht zu haben, denn wir waren ver- trauensvoll, daß das Unwetter nicht so schnell Zweite Abtheilung. von der ich noch nicht hergeſtellt war. Ein Lip-perle war es, der mich anlockte, eine Maske, die mir noch unbekannt war. Ich war kaum im Stande zu gehn, und ein gutmuͤthiger Freund gab endlich meinen Bitten nach, mich an einem ſchoͤnen Sommerabend zu begleiten und zu be- ſchuͤtzen. Die Vorſtellung war eine jener grel- len, populaͤren, die fuͤr mich und das Volk immer Reiz behalten. Die ernſthaften Rollen, die großen Herren und Fuͤrſten wurden ſchlecht und ſteif extemporiſirt und nur der Narr war unvergleichlich, wodurch das Stuͤck ein wahres großes Weltgemaͤlde wurde, und ſich von ſelbſt poetiſch ironiſirte. Schon im dritten Akt zog ein Gewitter auf, und mein eifriger Freund er- mahnte mich, uns fort zu machen, weil die Blitze ſchon durch die Bretter flimmten und die ſparſame Erleuchtung uͤberglaͤnzten, auch der Donner beſtimmt in der Ferne murrte. Ich menite aber, daß Gewitter koͤnne eben ſo gut eine andre Straße ziehn, und war ſo verſeſſen, das Ende abzuwarten, ſo unbequem ich auch auf den rauhen ſchmalen Baͤnken ſaß, ſo oft ich auch im Schmerz ohne Gewinn die Stellung wechſelte, daß ich wirklich den Schluß und bald nach ihm das ſtaͤrkſte Gewitter erlebte. Nun war guter Rath theuer. An ſchnelleres Gehn war bei meiner Unbehuͤlflichkeit nicht zu denken, ein Wagen nicht zu haben, denn wir waren ver- trauensvoll, daß das Unwetter nicht ſo ſchnell <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0399" n="390"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> von der ich noch nicht hergeſtellt war. Ein Lip-<lb/> perle war es, der mich anlockte, eine Maske,<lb/> die mir noch unbekannt war. Ich war kaum<lb/> im Stande zu gehn, und ein gutmuͤthiger Freund<lb/> gab endlich meinen Bitten nach, mich an einem<lb/> ſchoͤnen Sommerabend zu begleiten und zu be-<lb/> ſchuͤtzen. Die Vorſtellung war eine jener grel-<lb/> len, populaͤren, die fuͤr mich und das Volk<lb/> immer Reiz behalten. Die ernſthaften Rollen,<lb/> die großen Herren und Fuͤrſten wurden ſchlecht<lb/> und ſteif extemporiſirt und nur der Narr war<lb/> unvergleichlich, wodurch das Stuͤck ein wahres<lb/> großes Weltgemaͤlde wurde, und ſich von ſelbſt<lb/> poetiſch ironiſirte. Schon im dritten Akt zog<lb/> ein Gewitter auf, und mein eifriger Freund er-<lb/> mahnte mich, uns fort zu machen, weil die<lb/> Blitze ſchon durch die Bretter flimmten und die<lb/> ſparſame Erleuchtung uͤberglaͤnzten, auch der<lb/> Donner beſtimmt in der Ferne murrte. Ich<lb/> menite aber, daß Gewitter koͤnne eben ſo gut<lb/> eine andre Straße ziehn, und war ſo verſeſſen,<lb/> das Ende abzuwarten, ſo unbequem ich auch<lb/> auf den rauhen ſchmalen Baͤnken ſaß, ſo oft<lb/> ich auch im Schmerz ohne Gewinn die Stellung<lb/> wechſelte, daß ich wirklich den Schluß und bald<lb/> nach ihm das ſtaͤrkſte Gewitter erlebte. Nun<lb/> war guter Rath theuer. An ſchnelleres Gehn<lb/> war bei meiner Unbehuͤlflichkeit nicht zu denken,<lb/> ein Wagen nicht zu haben, denn wir waren ver-<lb/> trauensvoll, daß das Unwetter nicht ſo ſchnell<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [390/0399]
Zweite Abtheilung.
von der ich noch nicht hergeſtellt war. Ein Lip-
perle war es, der mich anlockte, eine Maske,
die mir noch unbekannt war. Ich war kaum
im Stande zu gehn, und ein gutmuͤthiger Freund
gab endlich meinen Bitten nach, mich an einem
ſchoͤnen Sommerabend zu begleiten und zu be-
ſchuͤtzen. Die Vorſtellung war eine jener grel-
len, populaͤren, die fuͤr mich und das Volk
immer Reiz behalten. Die ernſthaften Rollen,
die großen Herren und Fuͤrſten wurden ſchlecht
und ſteif extemporiſirt und nur der Narr war
unvergleichlich, wodurch das Stuͤck ein wahres
großes Weltgemaͤlde wurde, und ſich von ſelbſt
poetiſch ironiſirte. Schon im dritten Akt zog
ein Gewitter auf, und mein eifriger Freund er-
mahnte mich, uns fort zu machen, weil die
Blitze ſchon durch die Bretter flimmten und die
ſparſame Erleuchtung uͤberglaͤnzten, auch der
Donner beſtimmt in der Ferne murrte. Ich
menite aber, daß Gewitter koͤnne eben ſo gut
eine andre Straße ziehn, und war ſo verſeſſen,
das Ende abzuwarten, ſo unbequem ich auch
auf den rauhen ſchmalen Baͤnken ſaß, ſo oft
ich auch im Schmerz ohne Gewinn die Stellung
wechſelte, daß ich wirklich den Schluß und bald
nach ihm das ſtaͤrkſte Gewitter erlebte. Nun
war guter Rath theuer. An ſchnelleres Gehn
war bei meiner Unbehuͤlflichkeit nicht zu denken,
ein Wagen nicht zu haben, denn wir waren ver-
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