Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. tal nicht hin, mir diesen Genuß so oft zu ver-schaffen, als ich es wünschte, und ich durfte nicht daran denken, mich mit direkten Bitten an meine Eltern zu wenden, die schon, so we- nig sie auch davon wußten, mit meiner Liebha- berei sehr unzufrieden waren. Wie erfreut und überrascht war ich daher, als der alte Thürste- her mir an einem Abend mein gelöstes Einlaß- billet nicht abforderte. Die kleine Tafel war mir wie ein Talisman, und ich träumte in der Nacht davon. Am folgenden Tage ging ich früh nach dem Theater; noch ehe die Casse eröffnet wurde, schlich ich mich mit einigen Arbeitern vor die heilige Thür, wo ich mich in einem Winkel zu verbergen suchte, bis Zuschauer kamen mit welchen ich hinein eilte. Der Alte übersah mich wieder, und ich saß nun dicht vor dem Vor- hange, in der schauerlichen, entzückenden Dun- kelheit und Stille, kein Licht brannte, zuweilen nur, wenn die Thür sich öffnete, blitzte ein vor- überfliegender Schein des äußeren prosaischen Tages hindurch, und erhellte einzelne Figuren des wallenden Gemäldes. Dahinter räthselhafte Stimmen, Gepolter und das Rufen von Namen. Mit ungeschminktem Gesicht kuckte auch wohl ei- ner der Schauspieler hervor, den ich nachher als Helden sollte kennen lernen. Es läßt sich nicht beschreiben, und nur wer in seiner Jugend eine ähnliche Begeisterung für die Magie der Bühne erfahren hat, kann den Zauber, die Wonne fas- Zweite Abtheilung. tal nicht hin, mir dieſen Genuß ſo oft zu ver-ſchaffen, als ich es wuͤnſchte, und ich durfte nicht daran denken, mich mit direkten Bitten an meine Eltern zu wenden, die ſchon, ſo we- nig ſie auch davon wußten, mit meiner Liebha- berei ſehr unzufrieden waren. Wie erfreut und uͤberraſcht war ich daher, als der alte Thuͤrſte- her mir an einem Abend mein geloͤſtes Einlaß- billet nicht abforderte. Die kleine Tafel war mir wie ein Talisman, und ich traͤumte in der Nacht davon. Am folgenden Tage ging ich fruͤh nach dem Theater; noch ehe die Caſſe eroͤffnet wurde, ſchlich ich mich mit einigen Arbeitern vor die heilige Thuͤr, wo ich mich in einem Winkel zu verbergen ſuchte, bis Zuſchauer kamen mit welchen ich hinein eilte. Der Alte uͤberſah mich wieder, und ich ſaß nun dicht vor dem Vor- hange, in der ſchauerlichen, entzuͤckenden Dun- kelheit und Stille, kein Licht brannte, zuweilen nur, wenn die Thuͤr ſich oͤffnete, blitzte ein vor- uͤberfliegender Schein des aͤußeren proſaiſchen Tages hindurch, und erhellte einzelne Figuren des wallenden Gemaͤldes. Dahinter raͤthſelhafte Stimmen, Gepolter und das Rufen von Namen. Mit ungeſchminktem Geſicht kuckte auch wohl ei- ner der Schauſpieler hervor, den ich nachher als Helden ſollte kennen lernen. Es laͤßt ſich nicht beſchreiben, und nur wer in ſeiner Jugend eine aͤhnliche Begeiſterung fuͤr die Magie der Buͤhne erfahren hat, kann den Zauber, die Wonne faſ- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0413" n="404"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> tal nicht hin, mir dieſen Genuß ſo oft zu ver-<lb/> ſchaffen, als ich es wuͤnſchte, und ich durfte<lb/> nicht daran denken, mich mit direkten Bitten<lb/> an meine Eltern zu wenden, die ſchon, ſo we-<lb/> nig ſie auch davon wußten, mit meiner Liebha-<lb/> berei ſehr unzufrieden waren. Wie erfreut und<lb/> uͤberraſcht war ich daher, als der alte Thuͤrſte-<lb/> her mir an einem Abend mein geloͤſtes Einlaß-<lb/> billet nicht abforderte. Die kleine Tafel war<lb/> mir wie ein Talisman, und ich traͤumte in der<lb/> Nacht davon. Am folgenden Tage ging ich fruͤh<lb/> nach dem Theater; noch ehe die Caſſe eroͤffnet<lb/> wurde, ſchlich ich mich mit einigen Arbeitern vor<lb/> die heilige Thuͤr, wo ich mich in einem Winkel<lb/> zu verbergen ſuchte, bis Zuſchauer kamen mit<lb/> welchen ich hinein eilte. Der Alte uͤberſah mich<lb/> wieder, und ich ſaß nun dicht vor dem Vor-<lb/> hange, in der ſchauerlichen, entzuͤckenden Dun-<lb/> kelheit und Stille, kein Licht brannte, zuweilen<lb/> nur, wenn die Thuͤr ſich oͤffnete, blitzte ein vor-<lb/> uͤberfliegender Schein des aͤußeren proſaiſchen<lb/> Tages hindurch, und erhellte einzelne Figuren<lb/> des wallenden Gemaͤldes. Dahinter raͤthſelhafte<lb/> Stimmen, Gepolter und das Rufen von Namen.<lb/> Mit ungeſchminktem Geſicht kuckte auch wohl ei-<lb/> ner der Schauſpieler hervor, den ich nachher als<lb/> Helden ſollte kennen lernen. Es laͤßt ſich nicht<lb/> beſchreiben, und nur wer in ſeiner Jugend eine<lb/> aͤhnliche Begeiſterung fuͤr die Magie der Buͤhne<lb/> erfahren hat, kann den Zauber, die Wonne faſ-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [404/0413]
Zweite Abtheilung.
tal nicht hin, mir dieſen Genuß ſo oft zu ver-
ſchaffen, als ich es wuͤnſchte, und ich durfte
nicht daran denken, mich mit direkten Bitten
an meine Eltern zu wenden, die ſchon, ſo we-
nig ſie auch davon wußten, mit meiner Liebha-
berei ſehr unzufrieden waren. Wie erfreut und
uͤberraſcht war ich daher, als der alte Thuͤrſte-
her mir an einem Abend mein geloͤſtes Einlaß-
billet nicht abforderte. Die kleine Tafel war
mir wie ein Talisman, und ich traͤumte in der
Nacht davon. Am folgenden Tage ging ich fruͤh
nach dem Theater; noch ehe die Caſſe eroͤffnet
wurde, ſchlich ich mich mit einigen Arbeitern vor
die heilige Thuͤr, wo ich mich in einem Winkel
zu verbergen ſuchte, bis Zuſchauer kamen mit
welchen ich hinein eilte. Der Alte uͤberſah mich
wieder, und ich ſaß nun dicht vor dem Vor-
hange, in der ſchauerlichen, entzuͤckenden Dun-
kelheit und Stille, kein Licht brannte, zuweilen
nur, wenn die Thuͤr ſich oͤffnete, blitzte ein vor-
uͤberfliegender Schein des aͤußeren proſaiſchen
Tages hindurch, und erhellte einzelne Figuren
des wallenden Gemaͤldes. Dahinter raͤthſelhafte
Stimmen, Gepolter und das Rufen von Namen.
Mit ungeſchminktem Geſicht kuckte auch wohl ei-
ner der Schauſpieler hervor, den ich nachher als
Helden ſollte kennen lernen. Es laͤßt ſich nicht
beſchreiben, und nur wer in ſeiner Jugend eine
aͤhnliche Begeiſterung fuͤr die Magie der Buͤhne
erfahren hat, kann den Zauber, die Wonne faſ-
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