bisch verbietet, ihnen aber gern Raum gewährt, wenn sie nur mit jenen aufgeklärten Stücken eine wandernde Sittenschule für das Volk seyn wollen.
Die Klagen des Gozzi, fuhr Ernst fort, sind jetzt noch treffender als zu jener Zeit. Ist uns nicht überhaupt ein neuer Collier, nur mit mehr Kritik und Geschmack nöthig? Denn nicht bloß dem gemeinen Volke, was sollen der Na- tion überhaupt jene Schauspiele und Gesinnun- gen, die alles untergraben, was den Menschen hält und trägt? Seltner sind jetzt die Invecti- ven gegen den geistlichen Stand, auch die gegen die Fürsten nehmen ab, aber das meiste, was wir spielen sehn, kündigt doch der Sitte, dem Menschlichen, dem Rechten überhaupt den Krieg an, und zwar von verschrobenen Gemüthern, die eben für das Höchste zu eifern wähnen. Die Laufbahn des Lieblingsdichters ist nur so bezeich- net: Menschenhaß, die Indianer, Bruder Mo- ritz (dessen krasse Aufklärerei jetzt vergessen ist), die Sonnenjungfrau, die Klingsberge, und wel- che seiner Schauspiele nicht, die irgend Wirkung haben und Talente verrathen, welches man ihm wohl nicht absprechen kann. Auf der andern Seite die kleinlichen Familiengemälde. In allen diesen Produkten, die sich bestreben, an und für sich selbst zu wirken, die den Haufen rühren und erschüttern, sie mögen dargestellt werden, wie sie wollen, ja die sich von selbst gut spielen, weil
das
Zweite Abtheilung.
biſch verbietet, ihnen aber gern Raum gewaͤhrt, wenn ſie nur mit jenen aufgeklaͤrten Stuͤcken eine wandernde Sittenſchule fuͤr das Volk ſeyn wollen.
Die Klagen des Gozzi, fuhr Ernſt fort, ſind jetzt noch treffender als zu jener Zeit. Iſt uns nicht uͤberhaupt ein neuer Collier, nur mit mehr Kritik und Geſchmack noͤthig? Denn nicht bloß dem gemeinen Volke, was ſollen der Na- tion uͤberhaupt jene Schauſpiele und Geſinnun- gen, die alles untergraben, was den Menſchen haͤlt und traͤgt? Seltner ſind jetzt die Invecti- ven gegen den geiſtlichen Stand, auch die gegen die Fuͤrſten nehmen ab, aber das meiſte, was wir ſpielen ſehn, kuͤndigt doch der Sitte, dem Menſchlichen, dem Rechten uͤberhaupt den Krieg an, und zwar von verſchrobenen Gemuͤthern, die eben fuͤr das Hoͤchſte zu eifern waͤhnen. Die Laufbahn des Lieblingsdichters iſt nur ſo bezeich- net: Menſchenhaß, die Indianer, Bruder Mo- ritz (deſſen kraſſe Aufklaͤrerei jetzt vergeſſen iſt), die Sonnenjungfrau, die Klingsberge, und wel- che ſeiner Schauſpiele nicht, die irgend Wirkung haben und Talente verrathen, welches man ihm wohl nicht abſprechen kann. Auf der andern Seite die kleinlichen Familiengemaͤlde. In allen dieſen Produkten, die ſich beſtreben, an und fuͤr ſich ſelbſt zu wirken, die den Haufen ruͤhren und erſchuͤttern, ſie moͤgen dargeſtellt werden, wie ſie wollen, ja die ſich von ſelbſt gut ſpielen, weil
das
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Zweite Abtheilung.
biſch verbietet, ihnen aber gern Raum gewaͤhrt,
wenn ſie nur mit jenen aufgeklaͤrten Stuͤcken
eine wandernde Sittenſchule fuͤr das Volk ſeyn
wollen.
Die Klagen des Gozzi, fuhr Ernſt fort,
ſind jetzt noch treffender als zu jener Zeit. Iſt
uns nicht uͤberhaupt ein neuer Collier, nur mit
mehr Kritik und Geſchmack noͤthig? Denn nicht
bloß dem gemeinen Volke, was ſollen der Na-
tion uͤberhaupt jene Schauſpiele und Geſinnun-
gen, die alles untergraben, was den Menſchen
haͤlt und traͤgt? Seltner ſind jetzt die Invecti-
ven gegen den geiſtlichen Stand, auch die gegen
die Fuͤrſten nehmen ab, aber das meiſte, was
wir ſpielen ſehn, kuͤndigt doch der Sitte, dem
Menſchlichen, dem Rechten uͤberhaupt den Krieg
an, und zwar von verſchrobenen Gemuͤthern, die
eben fuͤr das Hoͤchſte zu eifern waͤhnen. Die
Laufbahn des Lieblingsdichters iſt nur ſo bezeich-
net: Menſchenhaß, die Indianer, Bruder Mo-
ritz (deſſen kraſſe Aufklaͤrerei jetzt vergeſſen iſt),
die Sonnenjungfrau, die Klingsberge, und wel-
che ſeiner Schauſpiele nicht, die irgend Wirkung
haben und Talente verrathen, welches man ihm
wohl nicht abſprechen kann. Auf der andern
Seite die kleinlichen Familiengemaͤlde. In allen
dieſen Produkten, die ſich beſtreben, an und fuͤr
ſich ſelbſt zu wirken, die den Haufen ruͤhren und
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/425>, abgerufen am 22.11.2024.
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