darum ist es großen Städten, wie Wien, sehr vortheilhaft, mehrere Bühnen zu besitzen; die bessere Bühne ist dann nicht gezwungen, so wie das Berliner Theater es muß, alle Thorheiten mit zu machen, auch ist dann die Einnahme gerin- ger, die Einrichtung bleibt von selbst häuslicher und enger, denn jene Verschwendung, jener un- begränzte Aufwand muß das Theater immer tie- fer hinab führen. In Italien hatte man neu- erdings einen andern Unsinn erfunden. Man gab nemlich große leidenschaftliche Schauspiele ohne Worte, in einer sogenannten Pantomime, in welcher nicht einmal getantzt wurde. In Flo- renz sah ich die Räuber von Schiller auf diese Weise mit kläglichen Geberdungen und armseli- gem Klingklang von Musik vorstellen, was dem Volke sehr gefiel; es läßt sich aber unmöglich beschreiben, wie toll und dumm Franz Moors Angst und Gottesläugnung im fünften Akte sich ausnahm.
Wenn ein kritischer Schauspieler behauptet, fiel Theodor ein, daß eine Feder auf dem Hut, oder eine aufwärts gekehrte flache Hand Athei- sterei ausdrücken können, so muß sie sich ja wohl auch ziemlicher maßen springen lassen. Ue- brigens scheint es mir, daß diese Anstalten von feuerspeienden Bergen, Krönungs- und andern Aufzügen, welche Tausende kosten, auf derselben Linie jener guten Künstler in Tetschen stehn, die den Aufwand der Zauberflöte wahrscheinlich mit
Zweite Abtheilung.
darum iſt es großen Staͤdten, wie Wien, ſehr vortheilhaft, mehrere Buͤhnen zu beſitzen; die beſſere Buͤhne iſt dann nicht gezwungen, ſo wie das Berliner Theater es muß, alle Thorheiten mit zu machen, auch iſt dann die Einnahme gerin- ger, die Einrichtung bleibt von ſelbſt haͤuslicher und enger, denn jene Verſchwendung, jener un- begraͤnzte Aufwand muß das Theater immer tie- fer hinab fuͤhren. In Italien hatte man neu- erdings einen andern Unſinn erfunden. Man gab nemlich große leidenſchaftliche Schauſpiele ohne Worte, in einer ſogenannten Pantomime, in welcher nicht einmal getantzt wurde. In Flo- renz ſah ich die Raͤuber von Schiller auf dieſe Weiſe mit klaͤglichen Geberdungen und armſeli- gem Klingklang von Muſik vorſtellen, was dem Volke ſehr gefiel; es laͤßt ſich aber unmoͤglich beſchreiben, wie toll und dumm Franz Moors Angſt und Gotteslaͤugnung im fuͤnften Akte ſich ausnahm.
Wenn ein kritiſcher Schauſpieler behauptet, fiel Theodor ein, daß eine Feder auf dem Hut, oder eine aufwaͤrts gekehrte flache Hand Athei- ſterei ausdruͤcken koͤnnen, ſo muß ſie ſich ja wohl auch ziemlicher maßen ſpringen laſſen. Ue- brigens ſcheint es mir, daß dieſe Anſtalten von feuerſpeienden Bergen, Kroͤnungs- und andern Aufzuͤgen, welche Tauſende koſten, auf derſelben Linie jener guten Kuͤnſtler in Tetſchen ſtehn, die den Aufwand der Zauberfloͤte wahrſcheinlich mit
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Zweite Abtheilung.
darum iſt es großen Staͤdten, wie Wien, ſehr
vortheilhaft, mehrere Buͤhnen zu beſitzen; die
beſſere Buͤhne iſt dann nicht gezwungen, ſo wie
das Berliner Theater es muß, alle Thorheiten mit
zu machen, auch iſt dann die Einnahme gerin-
ger, die Einrichtung bleibt von ſelbſt haͤuslicher
und enger, denn jene Verſchwendung, jener un-
begraͤnzte Aufwand muß das Theater immer tie-
fer hinab fuͤhren. In Italien hatte man neu-
erdings einen andern Unſinn erfunden. Man
gab nemlich große leidenſchaftliche Schauſpiele
ohne Worte, in einer ſogenannten Pantomime,
in welcher nicht einmal getantzt wurde. In Flo-
renz ſah ich die Raͤuber von Schiller auf dieſe
Weiſe mit klaͤglichen Geberdungen und armſeli-
gem Klingklang von Muſik vorſtellen, was dem
Volke ſehr gefiel; es laͤßt ſich aber unmoͤglich
beſchreiben, wie toll und dumm Franz Moors
Angſt und Gotteslaͤugnung im fuͤnften Akte ſich
ausnahm.
Wenn ein kritiſcher Schauſpieler behauptet,
fiel Theodor ein, daß eine Feder auf dem Hut,
oder eine aufwaͤrts gekehrte flache Hand Athei-
ſterei ausdruͤcken koͤnnen, ſo muß ſie ſich ja
wohl auch ziemlicher maßen ſpringen laſſen. Ue-
brigens ſcheint es mir, daß dieſe Anſtalten von
feuerſpeienden Bergen, Kroͤnungs- und andern
Aufzuͤgen, welche Tauſende koſten, auf derſelben
Linie jener guten Kuͤnſtler in Tetſchen ſtehn, die
den Aufwand der Zauberfloͤte wahrſcheinlich mit
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/429>, abgerufen am 16.06.2024.
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