stimmte, Zitternde und Kreischende in der De- klamation erreicht haben.
Wenn das Vorige richtig ist, fuhr Ernst fort, so geht daraus hervor, daß es jenem genannten Künstler an schöpferischer Phantasie fehle, an demjenigen, was den Künstler zu je- ner Stufe führt, wo wir ihn einen großen Schauspieler nennen können. Iffland muß sich daher an keinen Moliereschen, an keinen hochko- mischen Charakter wagen. Wie nothwendiger ist noch die schaffende Phantasie und ein gro- ßer Enthusiasmus zu den tragischen Darstellun- gen. Diese können aus keiner Beobachtung des Lebens hervorgehn, hier ist es, wo sich das Ge- nie des Schauspielers am größten offenbaren kann. In keiner andern Kunst verwechselt der Ausübende so leicht seinen Wunsch und seine Eitelkeit mit der Begeisterung, daher sehn wir auch in keiner so viele Mißgriffe. Selbst Gar- rick ließ sich verleiten, den Bastard Faulcon- bridge und Othello vorzustellen. Schröders Weis- heit hat ihn sein ganzes Leben hindurch bewahrt, sich von einem ihm ungeziemenden Charakter ver- locken zu lassen; Iffland aber verblendet sich über sein Talent und seine Bestimmung so sehr, daß er nach Helden- und tragischen Rollen geizt, und schwer ist es dann für den Schauspielfreund an solchen Abenden nicht ganz des Künstlers man- nigfaltige Verdienste zu vergessen. Hier ist es nun, wo er mit Feinheit, Eigenheit, kleinen
II. [ 28 ]
Zweite Abtheilung.
ſtimmte, Zitternde und Kreiſchende in der De- klamation erreicht haben.
Wenn das Vorige richtig iſt, fuhr Ernſt fort, ſo geht daraus hervor, daß es jenem genannten Kuͤnſtler an ſchoͤpferiſcher Phantaſie fehle, an demjenigen, was den Kuͤnſtler zu je- ner Stufe fuͤhrt, wo wir ihn einen großen Schauſpieler nennen koͤnnen. Iffland muß ſich daher an keinen Moliereſchen, an keinen hochko- miſchen Charakter wagen. Wie nothwendiger iſt noch die ſchaffende Phantaſie und ein gro- ßer Enthuſiasmus zu den tragiſchen Darſtellun- gen. Dieſe koͤnnen aus keiner Beobachtung des Lebens hervorgehn, hier iſt es, wo ſich das Ge- nie des Schauſpielers am groͤßten offenbaren kann. In keiner andern Kunſt verwechſelt der Ausuͤbende ſo leicht ſeinen Wunſch und ſeine Eitelkeit mit der Begeiſterung, daher ſehn wir auch in keiner ſo viele Mißgriffe. Selbſt Gar- rick ließ ſich verleiten, den Baſtard Faulcon- bridge und Othello vorzuſtellen. Schroͤders Weis- heit hat ihn ſein ganzes Leben hindurch bewahrt, ſich von einem ihm ungeziemenden Charakter ver- locken zu laſſen; Iffland aber verblendet ſich uͤber ſein Talent und ſeine Beſtimmung ſo ſehr, daß er nach Helden- und tragiſchen Rollen geizt, und ſchwer iſt es dann fuͤr den Schauſpielfreund an ſolchen Abenden nicht ganz des Kuͤnſtlers man- nigfaltige Verdienſte zu vergeſſen. Hier iſt es nun, wo er mit Feinheit, Eigenheit, kleinen
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Zweite Abtheilung.
ſtimmte, Zitternde und Kreiſchende in der De-
klamation erreicht haben.
Wenn das Vorige richtig iſt, fuhr Ernſt
fort, ſo geht daraus hervor, daß es jenem
genannten Kuͤnſtler an ſchoͤpferiſcher Phantaſie
fehle, an demjenigen, was den Kuͤnſtler zu je-
ner Stufe fuͤhrt, wo wir ihn einen großen
Schauſpieler nennen koͤnnen. Iffland muß ſich
daher an keinen Moliereſchen, an keinen hochko-
miſchen Charakter wagen. Wie nothwendiger
iſt noch die ſchaffende Phantaſie und ein gro-
ßer Enthuſiasmus zu den tragiſchen Darſtellun-
gen. Dieſe koͤnnen aus keiner Beobachtung des
Lebens hervorgehn, hier iſt es, wo ſich das Ge-
nie des Schauſpielers am groͤßten offenbaren
kann. In keiner andern Kunſt verwechſelt der
Ausuͤbende ſo leicht ſeinen Wunſch und ſeine
Eitelkeit mit der Begeiſterung, daher ſehn wir
auch in keiner ſo viele Mißgriffe. Selbſt Gar-
rick ließ ſich verleiten, den Baſtard Faulcon-
bridge und Othello vorzuſtellen. Schroͤders Weis-
heit hat ihn ſein ganzes Leben hindurch bewahrt,
ſich von einem ihm ungeziemenden Charakter ver-
locken zu laſſen; Iffland aber verblendet ſich uͤber
ſein Talent und ſeine Beſtimmung ſo ſehr, daß
er nach Helden- und tragiſchen Rollen geizt, und
ſchwer iſt es dann fuͤr den Schauſpielfreund an
ſolchen Abenden nicht ganz des Kuͤnſtlers man-
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/442>, abgerufen am 22.11.2024.
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