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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
dem große Kunst und Zeit ausging, sind die
seltensten in der Geschichte.

Was Sie aussprechen, sagte Rosalie, ist
mir dunkel, und ich wünschte wohl, daß Sie
mir diese Meinung erklären möchten.

Sehn Sie, schöne Freundin, antwortete
der Redende, wie unsre Theuern ermüdet sind,
und schon zu viel meiner Plauderei haben anhö-
ren müssen; wir finden wohl die Gelegenheit,
uns hierüber mehr zu verständigen.

Wirklich erhoben sich Emilie und Auguste,
nahmen Licht und boten gute Nacht; auch Wi-
libald, Lothar, der sich etwas angegriffen fühlte,
und Theodor entfernten sich, um zu ruhen; nur
Manfred und Rosalie, Clara und Anton, Frie-
drich und Ernst blieben zurück. Ihr Gespräch
wandte sich auf die Fremden, die am vorigen
Tage ihren Besuch gemacht hatten, und Man-
fred konnte ihre Wißbegier nicht genug beschrei-
ben, wie sie jedes Hüttenwerk angemerkt, die
Ruinen eiligst abgezeichnet, und sogar die Ent-
fernung nach Schritten von diesem zu jenem
Orte gemessen hätten. Ernst sagte: man kann
zu weit gehn und ängstlich und pedantisch wer-
den, aber jener Leichtsinn, der es vernachlässigt,
Bemerkungen aufzuzeichnen, weil er seinem Ge-
dächtnisse vertraut und meint, der frische Ein-
druck des gegenwärtigen Augenblicks müsse ihm
für sein ganzes Leben dauern, ist auch nicht zu
loben. Wie manches habe ich eingebüßt, weil

Zweite Abtheilung.
dem große Kunſt und Zeit ausging, ſind die
ſeltenſten in der Geſchichte.

Was Sie ausſprechen, ſagte Roſalie, iſt
mir dunkel, und ich wuͤnſchte wohl, daß Sie
mir dieſe Meinung erklaͤren moͤchten.

Sehn Sie, ſchoͤne Freundin, antwortete
der Redende, wie unſre Theuern ermuͤdet ſind,
und ſchon zu viel meiner Plauderei haben anhoͤ-
ren muͤſſen; wir finden wohl die Gelegenheit,
uns hieruͤber mehr zu verſtaͤndigen.

Wirklich erhoben ſich Emilie und Auguſte,
nahmen Licht und boten gute Nacht; auch Wi-
libald, Lothar, der ſich etwas angegriffen fuͤhlte,
und Theodor entfernten ſich, um zu ruhen; nur
Manfred und Roſalie, Clara und Anton, Frie-
drich und Ernſt blieben zuruͤck. Ihr Geſpraͤch
wandte ſich auf die Fremden, die am vorigen
Tage ihren Beſuch gemacht hatten, und Man-
fred konnte ihre Wißbegier nicht genug beſchrei-
ben, wie ſie jedes Huͤttenwerk angemerkt, die
Ruinen eiligſt abgezeichnet, und ſogar die Ent-
fernung nach Schritten von dieſem zu jenem
Orte gemeſſen haͤtten. Ernſt ſagte: man kann
zu weit gehn und aͤngſtlich und pedantiſch wer-
den, aber jener Leichtſinn, der es vernachlaͤſſigt,
Bemerkungen aufzuzeichnen, weil er ſeinem Ge-
daͤchtniſſe vertraut und meint, der friſche Ein-
druck des gegenwaͤrtigen Augenblicks muͤſſe ihm
fuͤr ſein ganzes Leben dauern, iſt auch nicht zu
loben. Wie manches habe ich eingebuͤßt, weil

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[437/0446] Zweite Abtheilung. dem große Kunſt und Zeit ausging, ſind die ſeltenſten in der Geſchichte. Was Sie ausſprechen, ſagte Roſalie, iſt mir dunkel, und ich wuͤnſchte wohl, daß Sie mir dieſe Meinung erklaͤren moͤchten. Sehn Sie, ſchoͤne Freundin, antwortete der Redende, wie unſre Theuern ermuͤdet ſind, und ſchon zu viel meiner Plauderei haben anhoͤ- ren muͤſſen; wir finden wohl die Gelegenheit, uns hieruͤber mehr zu verſtaͤndigen. Wirklich erhoben ſich Emilie und Auguſte, nahmen Licht und boten gute Nacht; auch Wi- libald, Lothar, der ſich etwas angegriffen fuͤhlte, und Theodor entfernten ſich, um zu ruhen; nur Manfred und Roſalie, Clara und Anton, Frie- drich und Ernſt blieben zuruͤck. Ihr Geſpraͤch wandte ſich auf die Fremden, die am vorigen Tage ihren Beſuch gemacht hatten, und Man- fred konnte ihre Wißbegier nicht genug beſchrei- ben, wie ſie jedes Huͤttenwerk angemerkt, die Ruinen eiligſt abgezeichnet, und ſogar die Ent- fernung nach Schritten von dieſem zu jenem Orte gemeſſen haͤtten. Ernſt ſagte: man kann zu weit gehn und aͤngſtlich und pedantiſch wer- den, aber jener Leichtſinn, der es vernachlaͤſſigt, Bemerkungen aufzuzeichnen, weil er ſeinem Ge- daͤchtniſſe vertraut und meint, der friſche Ein- druck des gegenwaͤrtigen Augenblicks muͤſſe ihm fuͤr ſein ganzes Leben dauern, iſt auch nicht zu loben. Wie manches habe ich eingebuͤßt, weil

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/446>, abgerufen am 22.11.2024.