Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Däumchen. Leidgast. Warum? Semmelziege. Dann sind die fremden Kin- der wahrlich nicht sicher, denn die ihrigen sind auf Menschen schon so gestellt, daß sie mir sogar neu- lich das Blut haben aussaugen wollen. Leidgast. Ists möglich? den Verstand, die Bildung hätt ich ihnen nimmermehr zugetraut. (Malwina kommt zurück). O Frau, Frau, was ein Vater doch ein glückliches Wesen ist! So eben hör ich von den Fortschritten meiner lieben Jungen, die ich mir nicht hätte träumen lassen: sie kriegen auch schon Appetit, sagt mir der gute Semmelziege. Ei, was werden sich aus so frühen Anlagen für herrliche Talente entwickeln! Malwina. Du freust dich über das, wor- über ich Thränen vergieße? Leidgast. Weib, laß mir die Empfindsamkeit. Ich kann die weichliche Erziehung nicht ausstehn, alle diese Vorurtheile, Aberglauben und Schwär- merei habe ich ihnen nie gestattet, ächte, derbe Natur, die ist meine Sache, und die offenbart sich in ihnen. Sie sollen keine Stubengelehrten, keine Tuckmäuser werden. Du hast doch die Kammer recht verschlossen? Gieb mir den Schlüssel. -- Semmelziege, hinauf auf den Taubenschlag und schlaft! du, Frau, kommst mit mir. Das sag ich Euch, merk ich einmal was Unrechtes zwischen Euch beiden, so mach ich kurzen Prozeß und freß euch auf, denn ich darf nur ein Weilchen auf der Land- straße lauern, um mir eine Frau und einen Favo- riten wieder zu fangen. Wenn ich recht darüber Daͤumchen. Leidgaſt. Warum? Semmelziege. Dann ſind die fremden Kin- der wahrlich nicht ſicher, denn die ihrigen ſind auf Menſchen ſchon ſo geſtellt, daß ſie mir ſogar neu- lich das Blut haben ausſaugen wollen. Leidgaſt. Iſts moͤglich? den Verſtand, die Bildung haͤtt ich ihnen nimmermehr zugetraut. (Malwina kommt zuruͤck). O Frau, Frau, was ein Vater doch ein gluͤckliches Weſen iſt! So eben hoͤr ich von den Fortſchritten meiner lieben Jungen, die ich mir nicht haͤtte traͤumen laſſen: ſie kriegen auch ſchon Appetit, ſagt mir der gute Semmelziege. Ei, was werden ſich aus ſo fruͤhen Anlagen fuͤr herrliche Talente entwickeln! Malwina. Du freuſt dich uͤber das, wor- uͤber ich Thraͤnen vergieße? Leidgaſt. Weib, laß mir die Empfindſamkeit. Ich kann die weichliche Erziehung nicht ausſtehn, alle dieſe Vorurtheile, Aberglauben und Schwaͤr- merei habe ich ihnen nie geſtattet, aͤchte, derbe Natur, die iſt meine Sache, und die offenbart ſich in ihnen. Sie ſollen keine Stubengelehrten, keine Tuckmaͤuſer werden. Du haſt doch die Kammer recht verſchloſſen? Gieb mir den Schluͤſſel. — Semmelziege, hinauf auf den Taubenſchlag und ſchlaft! du, Frau, kommſt mit mir. Das ſag ich Euch, merk ich einmal was Unrechtes zwiſchen Euch beiden, ſo mach ich kurzen Prozeß und freß euch auf, denn ich darf nur ein Weilchen auf der Land- ſtraße lauern, um mir eine Frau und einen Favo- riten wieder zu fangen. Wenn ich recht daruͤber <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0516" n="507"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Daͤumchen</hi>.</fw><lb/> <sp who="#LEI"> <speaker><hi rendition="#g">Leidgaſt</hi>.</speaker> <p>Warum?</p> </sp><lb/> <sp who="#SEM"> <speaker><hi rendition="#g">Semmelziege</hi>.</speaker> <p>Dann ſind die fremden Kin-<lb/> der wahrlich nicht ſicher, denn die ihrigen ſind auf<lb/> Menſchen ſchon ſo geſtellt, daß ſie mir ſogar neu-<lb/> lich das Blut haben ausſaugen wollen.</p> </sp><lb/> <sp who="#LEI"> <speaker><hi rendition="#g">Leidgaſt</hi>.</speaker> <p>Iſts moͤglich? den Verſtand, die<lb/> Bildung haͤtt ich ihnen nimmermehr zugetraut.<lb/><stage>(Malwina kommt zuruͤck).</stage>O Frau, Frau, was ein<lb/> Vater doch ein gluͤckliches Weſen iſt! 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Daͤumchen.
Leidgaſt. Warum?
Semmelziege. Dann ſind die fremden Kin-
der wahrlich nicht ſicher, denn die ihrigen ſind auf
Menſchen ſchon ſo geſtellt, daß ſie mir ſogar neu-
lich das Blut haben ausſaugen wollen.
Leidgaſt. Iſts moͤglich? den Verſtand, die
Bildung haͤtt ich ihnen nimmermehr zugetraut.
(Malwina kommt zuruͤck).O Frau, Frau, was ein
Vater doch ein gluͤckliches Weſen iſt! So eben hoͤr
ich von den Fortſchritten meiner lieben Jungen,
die ich mir nicht haͤtte traͤumen laſſen: ſie kriegen
auch ſchon Appetit, ſagt mir der gute Semmelziege.
Ei, was werden ſich aus ſo fruͤhen Anlagen fuͤr
herrliche Talente entwickeln!
Malwina. Du freuſt dich uͤber das, wor-
uͤber ich Thraͤnen vergieße?
Leidgaſt. Weib, laß mir die Empfindſamkeit.
Ich kann die weichliche Erziehung nicht ausſtehn,
alle dieſe Vorurtheile, Aberglauben und Schwaͤr-
merei habe ich ihnen nie geſtattet, aͤchte, derbe
Natur, die iſt meine Sache, und die offenbart ſich
in ihnen. Sie ſollen keine Stubengelehrten, keine
Tuckmaͤuſer werden. Du haſt doch die Kammer
recht verſchloſſen? Gieb mir den Schluͤſſel. —
Semmelziege, hinauf auf den Taubenſchlag und
ſchlaft! du, Frau, kommſt mit mir. Das ſag ich
Euch, merk ich einmal was Unrechtes zwiſchen Euch
beiden, ſo mach ich kurzen Prozeß und freß euch
auf, denn ich darf nur ein Weilchen auf der Land-
ſtraße lauern, um mir eine Frau und einen Favo-
riten wieder zu fangen. Wenn ich recht daruͤber
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