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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Der Blaubart.
sich an den Speisen übt, und immer neue fordert,
und dieses wiederholten Studiums nicht überdrü-
ßig werden kann, so steht der Kopf unter der Vor-
mundschaft, und ist gleichsam nur ein Bedienter
seines Herrn Vaters; wird er mündig gesprochen
und die Herrschaft fällt ihm zu, so macht er sich
gierig über die Nahrung her, die ihm gefällt, er
denkt unermüdet und sucht immer nach neuen Ideen,
indeß sein armer alter Vater unter ihm zusammen
schrumpft, und es am Ende sehr übel nimmt,
wenn man ihm nur irgend eine Speise zumuthet.
Agnes (lacht überlaut). Noch nie habe ich eine
so lustige Philosophie gehört, -- der Magen ein
Vater, -- der Verstand eine Zwiebel.
Arzt (fühlt Simons Puls) Ich habt nicht
gut geschlafen.
Simon. Ach nein, -- es liegt mir bestän-
dig etwas im Kopfe, --
Arzt. Was denn?
Simon. Seht, der Mensch kann alle An-
lagen entwickeln, die in ihm liegen, alle seine dun-
keln Empfindungen aufklären, -- ob man es denn
gar nicht bis zum Prophezeien sollte bringen können!
Arzt. Ja, lieber Ritter --
Simon. Es hat aber doch schon Propheten
gegeben, und vielleicht hat man ihrer noch jetzt,
und vielleicht kann man einer werden, wenn man
nur auf den richtigen Weg geräth.
Arzt. Das ist nur Schimäre.
Simon. Und dann ängstigts mich so oft,
warum eine Sache gerade so und nicht anders ist.

Der Blaubart.
ſich an den Speiſen uͤbt, und immer neue fordert,
und dieſes wiederholten Studiums nicht uͤberdruͤ-
ßig werden kann, ſo ſteht der Kopf unter der Vor-
mundſchaft, und iſt gleichſam nur ein Bedienter
ſeines Herrn Vaters; wird er muͤndig geſprochen
und die Herrſchaft faͤllt ihm zu, ſo macht er ſich
gierig uͤber die Nahrung her, die ihm gefaͤllt, er
denkt unermuͤdet und ſucht immer nach neuen Ideen,
indeß ſein armer alter Vater unter ihm zuſammen
ſchrumpft, und es am Ende ſehr uͤbel nimmt,
wenn man ihm nur irgend eine Speiſe zumuthet.
Agnes (lacht uͤberlaut). Noch nie habe ich eine
ſo luſtige Philoſophie gehoͤrt, — der Magen ein
Vater, — der Verſtand eine Zwiebel.
Arzt (fuͤhlt Simons Puls) Ich habt nicht
gut geſchlafen.
Simon. Ach nein, — es liegt mir beſtaͤn-
dig etwas im Kopfe, —
Arzt. Was denn?
Simon. Seht, der Menſch kann alle An-
lagen entwickeln, die in ihm liegen, alle ſeine dun-
keln Empfindungen aufklaͤren, — ob man es denn
gar nicht bis zum Prophezeien ſollte bringen koͤnnen!
Arzt. Ja, lieber Ritter —
Simon. Es hat aber doch ſchon Propheten
gegeben, und vielleicht hat man ihrer noch jetzt,
und vielleicht kann man einer werden, wenn man
nur auf den richtigen Weg geraͤth.
Arzt. Das iſt nur Schimaͤre.
Simon. Und dann aͤngſtigts mich ſo oft,
warum eine Sache gerade ſo und nicht anders iſt.

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[47/0056] Der Blaubart. ſich an den Speiſen uͤbt, und immer neue fordert, und dieſes wiederholten Studiums nicht uͤberdruͤ- ßig werden kann, ſo ſteht der Kopf unter der Vor- mundſchaft, und iſt gleichſam nur ein Bedienter ſeines Herrn Vaters; wird er muͤndig geſprochen und die Herrſchaft faͤllt ihm zu, ſo macht er ſich gierig uͤber die Nahrung her, die ihm gefaͤllt, er denkt unermuͤdet und ſucht immer nach neuen Ideen, indeß ſein armer alter Vater unter ihm zuſammen ſchrumpft, und es am Ende ſehr uͤbel nimmt, wenn man ihm nur irgend eine Speiſe zumuthet. Agnes (lacht uͤberlaut). Noch nie habe ich eine ſo luſtige Philoſophie gehoͤrt, — der Magen ein Vater, — der Verſtand eine Zwiebel. Arzt (fuͤhlt Simons Puls) Ich habt nicht gut geſchlafen. Simon. Ach nein, — es liegt mir beſtaͤn- dig etwas im Kopfe, — Arzt. Was denn? Simon. Seht, der Menſch kann alle An- lagen entwickeln, die in ihm liegen, alle ſeine dun- keln Empfindungen aufklaͤren, — ob man es denn gar nicht bis zum Prophezeien ſollte bringen koͤnnen! Arzt. Ja, lieber Ritter — Simon. Es hat aber doch ſchon Propheten gegeben, und vielleicht hat man ihrer noch jetzt, und vielleicht kann man einer werden, wenn man nur auf den richtigen Weg geraͤth. Arzt. Das iſt nur Schimaͤre. Simon. Und dann aͤngſtigts mich ſo oft, warum eine Sache gerade ſo und nicht anders iſt.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/56>, abgerufen am 24.11.2024.