Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. Der Arzt zu den Vorigen. Arzt. Ich freue mich, Euch wohl zu sehn, mein Fräulein. Und wie geht es Euch? Simon. Soll ich wieder klagen? Soll ich Euch weitläufig meine Empfindungen schildern? Ihr versteht mich nicht, und könnt also auch nicht daran glauben. Wozu soll ich immer in den Wind reden! Arzt. Daß jeder Kranke doch immer glaubt, er sei nur der einzige auf der Welt, der solche Art zu empfinden habe! Simon. Nun, könnt Ihr mir zu dem ver- helfen, was ich wünsche? -- Könnt Ihr machen, daß ich die Zukunft ergründe, wie ein Exempel, das ich berechne? Wohlan, dann will ich das Le- ben und Eure Kunst für etwas halten. Arzt. Ihr müßt Euch dergleichen Gedanken aus dem Sinn schlagen. Simon. Nun, seht Ihr wohl? Dieser Wunsch kömmt Euch als etwas ganz Abgeschmack- tes vor, folglich ist Euch diese Empfindung noch niemals nahe getreten, denn sonst würdet Ihr mir nicht so antworten, folglich versteht Ihr mich nicht, folglich könnt Ihr mich auch nicht heilen. Arzt. Wenn ich Euch auch das Uebrige zu- gebe, warum sollte ich Euch nicht heilen können? Simon. Ach, Ihr seid -- ein Arzt! -- Es ist gut, daß Ihr mich selbst durch dergleichen Re- den nicht aufbringen könnt, weil es mir immer gar zu gegenwärtig ist, wie Ihr meinen Zustand anseht. Ich will nächstens eine Reise antreten, Zweite Abtheilung. Der Arzt zu den Vorigen. Arzt. Ich freue mich, Euch wohl zu ſehn, mein Fraͤulein. Und wie geht es Euch? Simon. Soll ich wieder klagen? Soll ich Euch weitlaͤufig meine Empfindungen ſchildern? Ihr verſteht mich nicht, und koͤnnt alſo auch nicht daran glauben. Wozu ſoll ich immer in den Wind reden! Arzt. Daß jeder Kranke doch immer glaubt, er ſei nur der einzige auf der Welt, der ſolche Art zu empfinden habe! Simon. Nun, koͤnnt Ihr mir zu dem ver- helfen, was ich wuͤnſche? — Koͤnnt Ihr machen, daß ich die Zukunft ergruͤnde, wie ein Exempel, das ich berechne? Wohlan, dann will ich das Le- ben und Eure Kunſt fuͤr etwas halten. Arzt. Ihr muͤßt Euch dergleichen Gedanken aus dem Sinn ſchlagen. Simon. Nun, ſeht Ihr wohl? Dieſer Wunſch koͤmmt Euch als etwas ganz Abgeſchmack- tes vor, folglich iſt Euch dieſe Empfindung noch niemals nahe getreten, denn ſonſt wuͤrdet Ihr mir nicht ſo antworten, folglich verſteht Ihr mich nicht, folglich koͤnnt Ihr mich auch nicht heilen. Arzt. Wenn ich Euch auch das Uebrige zu- gebe, warum ſollte ich Euch nicht heilen koͤnnen? Simon. Ach, Ihr ſeid — ein Arzt! — Es iſt gut, daß Ihr mich ſelbſt durch dergleichen Re- den nicht aufbringen koͤnnt, weil es mir immer gar zu gegenwaͤrtig iſt, wie Ihr meinen Zuſtand anſeht. Ich will naͤchſtens eine Reiſe antreten, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#SIM"> <pb facs="#f0067" n="58"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> <stage> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Der Arzt</hi> zu den Vorigen.</hi> </stage> </sp><lb/> <sp who="#ARZ"> <speaker><hi rendition="#g">Arzt</hi>.</speaker> <p>Ich freue mich, Euch wohl zu ſehn,<lb/> mein Fraͤulein. Und wie geht es Euch?</p> </sp><lb/> <sp who="#SIM"> <speaker><hi rendition="#g">Simon</hi>.</speaker> <p>Soll ich wieder klagen? Soll ich<lb/> Euch weitlaͤufig meine Empfindungen ſchildern?<lb/> Ihr verſteht mich nicht, und koͤnnt alſo auch<lb/> nicht daran glauben. 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Zweite Abtheilung.
Der Arzt zu den Vorigen.
Arzt. Ich freue mich, Euch wohl zu ſehn,
mein Fraͤulein. Und wie geht es Euch?
Simon. Soll ich wieder klagen? Soll ich
Euch weitlaͤufig meine Empfindungen ſchildern?
Ihr verſteht mich nicht, und koͤnnt alſo auch
nicht daran glauben. Wozu ſoll ich immer in den
Wind reden!
Arzt. Daß jeder Kranke doch immer glaubt,
er ſei nur der einzige auf der Welt, der ſolche Art
zu empfinden habe!
Simon. Nun, koͤnnt Ihr mir zu dem ver-
helfen, was ich wuͤnſche? — Koͤnnt Ihr machen,
daß ich die Zukunft ergruͤnde, wie ein Exempel,
das ich berechne? Wohlan, dann will ich das Le-
ben und Eure Kunſt fuͤr etwas halten.
Arzt. Ihr muͤßt Euch dergleichen Gedanken
aus dem Sinn ſchlagen.
Simon. Nun, ſeht Ihr wohl? Dieſer
Wunſch koͤmmt Euch als etwas ganz Abgeſchmack-
tes vor, folglich iſt Euch dieſe Empfindung noch
niemals nahe getreten, denn ſonſt wuͤrdet Ihr mir
nicht ſo antworten, folglich verſteht Ihr mich nicht,
folglich koͤnnt Ihr mich auch nicht heilen.
Arzt. Wenn ich Euch auch das Uebrige zu-
gebe, warum ſollte ich Euch nicht heilen koͤnnen?
Simon. Ach, Ihr ſeid — ein Arzt! — Es
iſt gut, daß Ihr mich ſelbſt durch dergleichen Re-
den nicht aufbringen koͤnnt, weil es mir immer
gar zu gegenwaͤrtig iſt, wie Ihr meinen Zuſtand
anſeht. Ich will naͤchſtens eine Reiſe antreten,
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