Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.Zweite Abtheilung. schöne Aepfel, die ich ihr hatte kaufen müssen, siestand vor dem Spiegel und lachte; ich ging indeß hinaus, ihr den neuen Spitzenaufsatz zu holen, der ihr so himmlisch steht: plötzlich hör' ich ein lautes Aufschreien, ich erschrecke, ich horche, da er- kenne ich die Stimme meiner Prinzessinn, sie klagt, daß sie geboren ist, sie will sterben, ins Grab will sie sich legen, ich begreife nicht, ich lasse vor Er- staunen die Brabanter Spitzen fallen, laufe hin- ein, und finde sie, und sehe sie, -- o wie soll ich beschreiben, was ich sah, was ich fand? König. Nun? Margarethe. In der Stube steht und heult ein wildes Wesen mit zwei langen graden Hörnern auf dem Kopf, das zieht an den Hör- nern, als wenn es sie ausreißen wollte, und weint und verzweifelt. Königinn. Und wer war das Thier? Margarethe. Ach, scheltet, nennt sie nicht so: unsre arme, unglückliche Prinzessinn war es. König. Ich will nicht hoffen. -- Agrippina? Margarethe. Sie selbst. Königinn. Mein liebstes Kind, meine reizende Tochter? Margarethe. Ach! Niemand anders. König. Was hat das zu bedeuten? Wun- der über Wunder! Erst verschwunden, wieder ge- kommen, nun gar Hörner auf dem Kopf! Aber ist es denn auch wahr? Bist Du nicht vielleicht über die Weinflasche gerathen, und hast ihren Kopfputz für Hörner angesehn? Zweite Abtheilung. ſchoͤne Aepfel, die ich ihr hatte kaufen muͤſſen, ſieſtand vor dem Spiegel und lachte; ich ging indeß hinaus, ihr den neuen Spitzenaufſatz zu holen, der ihr ſo himmliſch ſteht: ploͤtzlich hoͤr' ich ein lautes Aufſchreien, ich erſchrecke, ich horche, da er- kenne ich die Stimme meiner Prinzeſſinn, ſie klagt, daß ſie geboren iſt, ſie will ſterben, ins Grab will ſie ſich legen, ich begreife nicht, ich laſſe vor Er- ſtaunen die Brabanter Spitzen fallen, laufe hin- ein, und finde ſie, und ſehe ſie, — o wie ſoll ich beſchreiben, was ich ſah, was ich fand? Koͤnig. Nun? Margarethe. In der Stube ſteht und heult ein wildes Weſen mit zwei langen graden Hoͤrnern auf dem Kopf, das zieht an den Hoͤr- nern, als wenn es ſie ausreißen wollte, und weint und verzweifelt. Koͤniginn. Und wer war das Thier? Margarethe. Ach, ſcheltet, nennt ſie nicht ſo: unſre arme, ungluͤckliche Prinzeſſinn war es. Koͤnig. Ich will nicht hoffen. — Agrippina? Margarethe. Sie ſelbſt. Koͤniginn. Mein liebſtes Kind, meine reizende Tochter? Margarethe. Ach! Niemand anders. Koͤnig. Was hat das zu bedeuten? Wun- der uͤber Wunder! Erſt verſchwunden, wieder ge- kommen, nun gar Hoͤrner auf dem Kopf! Aber iſt es denn auch wahr? Biſt Du nicht vielleicht uͤber die Weinflaſche gerathen, und haſt ihren Kopfputz fuͤr Hoͤrner angeſehn? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#Margarethe"> <p><pb facs="#f0380" n="370"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/> ſchoͤne Aepfel, die ich ihr hatte kaufen muͤſſen, ſie<lb/> ſtand vor dem Spiegel und lachte; ich ging indeß<lb/> hinaus, ihr den neuen Spitzenaufſatz zu holen,<lb/> der ihr ſo himmliſch ſteht: ploͤtzlich hoͤr' ich ein<lb/> lautes Aufſchreien, ich erſchrecke, ich horche, da er-<lb/> kenne ich die Stimme meiner Prinzeſſinn, ſie klagt,<lb/> daß ſie geboren iſt, ſie will ſterben, ins Grab will<lb/> ſie ſich legen, ich begreife nicht, ich laſſe vor Er-<lb/> ſtaunen die Brabanter Spitzen fallen, laufe hin-<lb/> ein, und finde ſie, und ſehe ſie, — o wie ſoll ich<lb/> beſchreiben, was ich ſah, was ich fand?</p> </sp><lb/> <sp who="#Koͤnig"> <speaker><hi rendition="#g">Koͤnig</hi>.</speaker> <p>Nun?</p> </sp><lb/> <sp who="#Margarethe"> <speaker><hi rendition="#g">Margarethe</hi>.</speaker> <p>In der Stube ſteht und<lb/> heult ein wildes Weſen mit zwei langen graden<lb/> Hoͤrnern auf dem Kopf, das zieht an den Hoͤr-<lb/> nern, als wenn es ſie ausreißen wollte, und weint<lb/> und verzweifelt.</p> </sp><lb/> <sp who="#Koͤniginn"> <speaker><hi rendition="#g">Koͤniginn</hi>.</speaker> <p>Und wer war das Thier?</p> </sp><lb/> <sp who="#Margarethe"> <speaker><hi rendition="#g">Margarethe</hi>.</speaker> <p>Ach, ſcheltet, nennt ſie nicht<lb/> ſo: unſre arme, ungluͤckliche Prinzeſſinn war es.</p> </sp><lb/> <sp who="#Koͤnig"> <speaker><hi rendition="#g">Koͤnig</hi>.</speaker> <p>Ich will nicht hoffen. — Agrippina?</p> </sp><lb/> <sp who="#Margarethe"> <speaker><hi rendition="#g">Margarethe</hi>.</speaker> <p>Sie ſelbſt.</p> </sp><lb/> <sp who="#Koͤniginn"> <speaker><hi rendition="#g">Koͤniginn</hi>.</speaker> <p>Mein liebſtes Kind, meine<lb/> reizende Tochter?</p> </sp><lb/> <sp who="#Margarethe"> <speaker><hi rendition="#g">Margarethe</hi>.</speaker> <p>Ach! 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Zweite Abtheilung.
ſchoͤne Aepfel, die ich ihr hatte kaufen muͤſſen, ſie
ſtand vor dem Spiegel und lachte; ich ging indeß
hinaus, ihr den neuen Spitzenaufſatz zu holen,
der ihr ſo himmliſch ſteht: ploͤtzlich hoͤr' ich ein
lautes Aufſchreien, ich erſchrecke, ich horche, da er-
kenne ich die Stimme meiner Prinzeſſinn, ſie klagt,
daß ſie geboren iſt, ſie will ſterben, ins Grab will
ſie ſich legen, ich begreife nicht, ich laſſe vor Er-
ſtaunen die Brabanter Spitzen fallen, laufe hin-
ein, und finde ſie, und ſehe ſie, — o wie ſoll ich
beſchreiben, was ich ſah, was ich fand?
Koͤnig. Nun?
Margarethe. In der Stube ſteht und
heult ein wildes Weſen mit zwei langen graden
Hoͤrnern auf dem Kopf, das zieht an den Hoͤr-
nern, als wenn es ſie ausreißen wollte, und weint
und verzweifelt.
Koͤniginn. Und wer war das Thier?
Margarethe. Ach, ſcheltet, nennt ſie nicht
ſo: unſre arme, ungluͤckliche Prinzeſſinn war es.
Koͤnig. Ich will nicht hoffen. — Agrippina?
Margarethe. Sie ſelbſt.
Koͤniginn. Mein liebſtes Kind, meine
reizende Tochter?
Margarethe. Ach! Niemand anders.
Koͤnig. Was hat das zu bedeuten? Wun-
der uͤber Wunder! Erſt verſchwunden, wieder ge-
kommen, nun gar Hoͤrner auf dem Kopf! Aber iſt
es denn auch wahr? Biſt Du nicht vielleicht uͤber
die Weinflaſche gerathen, und haſt ihren Kopfputz
fuͤr Hoͤrner angeſehn?
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